Gedenkveranstaltung in der Loisachhalle:Immer noch brennen die Bücher

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Beim Historischen Verein tritt auch das ukrainische Flüchtlingsmädchen Darina Semenova mit ihrer Bandura auf. (Foto: Hartmut Pöstges)

Der Historische Verein und die Stadt Wolfratshausen erinnern gemeinsam mit heutigen verfolgten Künstlerinnen und Künstlern an das Autodafé der Nazis.

Von Susanne Hauck, Wolfratshausen

Sie kommen aus Ländern, in denen Männer mit grausamer Härte regieren, Demonstranten verhaftet werden und Oppositionelle in Gefängnissen verschwinden: Mit namhaften Autoren aus aller Welt, die aus politischen und religiösen Gründen verfolgt werden und überwiegend im deutschen Exil leben, will die diesjährige Veranstaltung zum Gedenken an die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten den Bogen zur Gegenwart schlagen. "Wir setzen erstmals den Schwerpunkt auf die aktuell verfolgte Literatur", sagte Badehaus-Vorsitzende Sibylle Krafft am Freitag bei der Vorstellung des Programms. Eingeladen sind Schriftstellerinnen und Künstler aus Afghanistan, Belarus, Eritrea, Kurdistan, Iran, Nordkorea, Syrien, Türkei, Uganda und der Ukraine, die live aus ihren Werken lesen oder vorgestellt werden.

Nach coronabedingter Pause kehrt die Veranstaltung, die vom Verein Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald und vom Historischen Verein Wolfratshausen organisiert wird, am 10. Mai auf die große Bühne der Loisachhalle zurück. Wohl noch nie seien so viele politisch verfolgte Künstler gleichzeitig zu Gast in Wolfratshausen gewesen, unterstrich Krafft die Bedeutung des Abends und merkte an, dass die Idee zum Gegenwartsbezug eigentlich schon vor der Pandemie entstanden, angesichts des schrecklichen Ukraine-Kriegs umso relevanter sei.

Bei ihrem Auftritt lesen die Autoren eine Minute lang im Original, um dem Publikum den Klang ihrer Heimatsprache nahezubringen. Anschließend trägt Schauspieler und Sprecher Jürgen Jung den Text auf Deutsch vor. Dazu führen die "jungen Badehäusler", Vereinsmitglieder und Ehrenamtliche, auf der Bühne mit den Teilnehmern Interviews und stellen sie im Gespräch vor. Dass auch eine Reihe von Schulen wieder dabei ist, freut Krafft besonders, denn unter Corona-Bedingungen sei dies nicht selbstverständlich. So beteiligen sich die Realschule und das Gymnasium Geretsried, die Fachoberschule Bad Tölz und die Mittelschule und Realschule Wolfratshausen mit kreativen Beiträgen zum Thema Verfolgung. Weitere Mitwirkende sind der Syrische Friedenschor aus München und die kleine Darina Semenova. Das ukrainische Flüchtlingskind ist mit Mutter und Bruder im Februar aus Kiew geflohen und in Icking untergekommen, wo sie auch schon zur Schule geht. Nur das Nötigste war auf der Flucht dabei. Aber die Bandura, ein beeindruckend großes Instrument aus der Ukraine, wollte die hochmusikalische Familie unter keinen Umständen zurücklassen. So wird Darina auf dieser Laute ein ukrainisches Volkslied spielen, und Mutter Oksana, eine Deutsch- und Englischlehrerin, aus den Werken von Oksana Sabuschko lesen, einer Landsfrau und Autorin, die sich gegen die Unterdrückung durch Russland wehrt. Krafft kündigte außerdem "Überraschungsgäste" aus Politik und Kultur an.

Krafft hofft auf ein volles Haus, das an diesem Tag 500 Plätze bietet. Mit dem Mammutprojekt habe sich der Verein in große Kosten gestürzt, so die Vorsitzende. Auch wenn die Stadt Wolfratshausen die Loisachhalle an dem Abend sponsore, es fielen viele weitere Kosten wie etwa für die aufwändige Bühnentechnik und die Generalproben-Saalmiete an.

Erwartet werden Künstlerinnen und Künstler aus dem Writers-in-Exile-Programm des deutschen Ablegers des Schriftstellerverbands Pen, die während ihres Aufenthalts in Wolfratshausen im Haus einer Familie in Waldram zu Gast sind. Aus Paris reist Roya Heydari an, eine afghanische feministische Fotojournalistin, die im August 2021 aus dem von den Taliban überrannten Kabul flüchtete. Die mehrfach ausgezeichnete Volha Hapeyeva aus Belarus widmet sich in ihrer Arbeit den politischen Verhältnissen in ihrem Heimatland. Die Lyrikerin, deren Werk in zehn Sprachen übersetzt wurde, wohnt seit 2021 in München. Yirgalem Fisseha Mebrahtu aus Eritrea war wegen ihrer journalistischen und literarischen Arbeit sechs Jahre lang inhaftiert. Der Schriftsteller Jiyar Jahanfard wurde wegen seines Engagements für die kurdische Kultur im Iran verfolgt und inhaftiert. Ayeda Alavie ist eine iranische Autorin, die Literatur für Kinder und Jugendliche verfasst und illustriert hat und seit 2000 in Deutschland lebt. Der Nordkoreaner Sun Mu ist als der "Maler ohne Gesicht" bekannt, weil er mit Rücksicht auf seine Familie nur verschleiert auftritt. Er lebt unter Pseudonym in Südkorea und kann sich wegen des großen Risikos nur via Filmausschnitt zeigen. Nazli Karabiyikoglu ist eine Autorin und Aktivistin aus der Türkei, die sich besonders für Minderheiten einsetzt. Stella Nyanzi wiederum wurde in Uganda geboren. Die Feministin kam dort in Haft, als sich im Streit um Monatshygiene-Produkte für Mädchen der Staatschef und seine Frau beleidigt fühlten. Sie lebt seit 2022 in Deutschland.

Dienstag, 10. Mai: Gedenkveranstaltung zur Bücherverbrennung in der Loisachhalle Wolfratshausen; Beginn 19 Uhr, Einlass 18.30 Uhr (geplante Dauer bis 22 Uhr); Karten zu 25 Euro (ermäßigt zehn Euro) über www.erinnerungsort-badehaus.de und an der Abendkasse

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