Buchvorstellung:Im Innern der Hass

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Thomas Meyer bezeichnet sich selbst als "Agent der Jüdischen Weltverschwörung, der eine Tarnexistenz als Schriftsteller führt". (Foto: Lukas Lienhard/Diogenes-Verlag)

Der Schweizer Schriftsteller Thomas Meyer entdeckt den Jochberg für seinen neuen Roman

Von Erich C. Setzwein, Kochel am See

1567 Meter hoch ist der Jochberg, ein beliebter und leicht zu besteigender Aussichtspunkt in den Voralpen. Doch in seinem Inneren gärt der Hass, da werden Wunderwaffen entwickelt und reinrassige Arier gezüchtet. Und das schon seit 1945. Das wusste bislang niemand, erst Thomas Meyer hat das geheime Naziversteck im Landkreis entdeckt. Publik gemacht hat er es nun in seinem neuen Buch "Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin". Alles Lüge! Wirklich?

Vor fünf Jahren ließ der Schweizer Meyer, Jahrgang 1974, Mordechai Wolkenbruch, den alle nur Motti nennen, ins Licht der Öffentlichkeit treten. Er präsentierte in "Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse" ein Jingele, das nicht die Regeln seiner Vorfahren respektieren und auf gar keinen Fall so werden wollte wie sie: Auf die Welt kommen, beschnitten werden, dann die Bar Mitzwa und schließlich die arrangierte Hochzeit, viele Kindele und ein langes Leben als Tate (Vater) mit der Mame.

Wer sich großartig amüsierte über Mottis Ausbruch aus dem Familiengefängnis und mit ihm die Schickse liebte, der musste etwas warten, bis sein Schöpfer Thomas Meyer ihm eine Fortsetzung schrieb. Das Ende des ersten Bandes ist der Beginn des zweiten, ohne dass nun jeder den ersten Motti-Roman gelesen haben muss: Die Familie hat Motti verstoßen wegen der Liebe zur Schickse. Jude und Nichtjüdin: geht gar nicht, meint seine Mutter.

Wolkenbruchs Biograf lässt den immer noch ziemlich jugendlich daherkommenden Motti, der den Frauen weiterhin sehr gern auf den Tuches schaut, im israelischen Kibbuz Orangen pflücken und dort - Überraschung! - zum Anführer der Jüdischen Weltverschwörung werden. Und während Motti überlegt, mit welcher Strategie die Menschen auf der ganzen Welt dazu gebracht werden können, Orangen aus Israel zu essen, nur noch jüdische Restaurants aufzusuchen, jüdische Schriftsteller zu lesen, selbst Hummus und Falafel zuzubereiten und sich nur noch der Liebe hinzugeben, gärt im fernen Oberbayern der Hass. Denn dort haben die Nachfahren der letzten echten Nazis das Internet erfunden, das sie Volksnetz nennen, sie haben einen Plan, wie sie die Welt beherrschen wollen.

Thomas Meyer ist eine leicht zu lesende und anfangs sehr heitere Folgegeschichte gelungen, in der er seinen Motti als den Helden weiterentwickelt, wie er ihn im ersten Band geschaffen hat. Meyer selbst bezeichnet sich auf seiner eigenen "Volksnetz"-Seite als "Agent der Jüdischen Weltverschwörung, der eine Tarnexistenz als Schriftsteller führt". Nicht einmal seine Mutter kenne seinen richtigen Namen. So weit, so übertrieben. Ist Meyer also Motti, der nun außerhalb der Schweiz Abenteuer bestehen muss, es mit einer von den Nazis ausgesandten Agentin treibt und schließlich sogar seine Mame wiedertreffen wird? A wuide G'schicht, würden die Menschen im Schatten des Jochbergs dazu sagen.

Wild geht es zu bei Meyer. Die Nazis überschwemmen das Internet mit ihren perfiden Botschaften voller beabsichtigter Grammatikfehler, das Weltjudentum kapert derweil in hehrer Absicht, alles friedlich und jüdisch zu machen, Amazons Alexa. Das kommt einem bei aktueller Zeitungslektüre über die gehackten Amazon- und Google-Lautsprecher dann doch sehr wahrscheinlich vor, die Anfälligkeit der smarten Technik ist mindestens zum Schmunzeln.

Doch die Heiterkeit über Motti weicht beim Lesen einer Beklemmung. Nämlich dann, wenn Meyer die antisemitischen Hasstiraden aus dem Internet zitiert. Dann wird es nicht mehr lustig, dann scheint wieder alles real und aktuell. Hass, das ist die Botschaft, ist der Beginn von Gewalt. Auch Motti soll liquidiert werden von der blonden Hulda aus dem Jochberg. Doch Meyers Wolkenbruch bleibt friedlich und erledigt das Problem mit Hulda und der Hassmaschine auf seine Art: mit Liebe, mit Hummus - und mit seiner Mame.

Thomas Meyer, Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Agentin, Diogenes-Verlag 2019, 24,90 Euro. www.thomasmeyer.ch

© SZ vom 05.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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