Blues in Münsing:Jubelschreie für ein zerknittertes Genie

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Nick Woodland eröffnet mit seiner Band das Seejazzfestival im ausverkauften Schlossgut Oberambach - und reißt Alt und Jung vom Hocker.

Von Susanne Hauck

Blues-Zauberer mit Zylinder: Nick Woodland und seine Band - Klaus Reichardt (Keyboard), Manfred Mildenberger (Schlagzeug) und Georg Stirnweiß (Bass) - ziehen das Publikum in Oberambach schon mit dem ersten Stück in ihren Bann. (Foto: Hartmut Pöstges)

Nick Woodland ist ein Rock-Opa, die gnadenlose Jugend würde sogar sagen: ein Rock-Zombie. Fast schon geisterhaft bleich besteigt der 67-jährige Schlaks die Bühne. Wie immer trägt er einen schwarzen Zylinder, unter dem braune Haarsträhnen hervorlugen, und die typische kleine Nickelbrille. Ein Jackett im Schlangenhautlook ergänzt das Bühnenoutfit, aber nicht etwa aus rockermäßigem Leder, sondern aus labbrigem Stoff. Angesichts der Falten, die sein Gesicht durchfurchen, stellt sich die Frage, ob an der Legende, wonach er bei den Stones hätte einsteigen sollen, nicht doch etwas Wahres dran ist. Aber Schluss mit Lästern! Was war das für ein Konzerterlebnis!

Alter und Falten spielen keine Rolle, wenn einer so begnadet die Gitarre bedienen kann wie dieser Engländer. Gleich beim ersten Lied ertönen am Samstagabend die Jubelschreie im ausverkauften Schlossgut Oberambach, wo im Hof eine kleine Bühne aufgebaut ist. Zuvor hatten die Veranstalter ständig neue Stühle herbeischleppen müssen, weil immer noch mehr Gäste herbeiströmten. So und nicht anders muss ein Blues-Konzert klingen. Woodland erinnert an Tom Petty und Eric Clapton. Die E-Gitarre soll tot sein? Von wegen. Er lässt sein Instrument meisterhaft aufjaulen und dann wieder ganz gefühlvoll säuseln.

Woodland hat zudem eine gute dunkle Stimme, die er sparsam dosiert einsetzt. So können die instrumentalen Parts ihre Sogwirkung voll und ganz entfalten. Der Musiker verlässt sich nicht darauf, Hits berühmterer Kollegen nachzuspielen. Das braucht er schon deshalb nicht, weil er so schöne eigene Songs komponiert hat, zu denen das Publikum sofort Zugang findet, darunter etwa "Once in a Lifetime" oder "No Talking Back" von seinem 15. Album "Street Level".

Zu den eingängigen Melodien kommen vernünftige Lyrics. Kerniger Bluesrock wechselt sich ab mit typischem Country-Blues und ruhigen Balladen, dazu hinreißend ausgespielte Soli, auch von seinen Kollegen an Drums, Keyboard und Steel Gitarre. Warum es andere bis ganz nach oben geschafft haben und Woodland nicht, darüber kann man nur rätseln. Womöglich ist er einfach zu introvertiert. Zwischen den Titeln erzählt er, wie ihn - selbst nach so vielen Jahrzehnten Bühnenerfahrung - immer noch die erwartungsvolle Stille im Publikum irritiere. Grinst ein wenig verlegen, schiebt die Brille hoch und steckt sich eine Zigarette an, die er nicht im Mundwinkel parkt, sondern am Hals seiner Gitarre.

Geboren ist er in London, als Kind kam er nach Deutschland und blieb Anfang der Siebziger Jahre in München hängen. Die britische Kauzigkeit hat er sich bis heute erhalten, mit dem Publikum plaudert er lässig auf Deutsch. Als einer der am häufigsten gebuchten Studiogitarristen spielte er Aufnahmen für Weltstars wie Boney M., Donna Summer oder The Clash ein - meistens in den Münchner Musicland-Studios von Giorgio Moroder. Dort begegnete er auch einmal Keith Richards und schüttelte ihm die Hand - soviel zum Kern der Stones-Legende. Er begleitete Amon Düül und tourte mit Marius Müller-Westernhagen.

Seine eigene Band hat er auch, und die darf nicht unerwähnt bleiben. Klaus Reichardt - genial an Keyboard und Pedal Steel Guitar; Manfred Mildenberger - einer, der alles gibt und ein wahres Drumgewitter entfacht; Georg Stirnweiß - solide Stütze am Bass. Die vier sind ein Team mit enormer Spielfreude, das sichtlich miteinander kann.

Der Funke springt über. Erst wippen bei allen die Beine, dann fassen gegen Ende des Konzerts einige flotte Mittfünfzigerinnen Mut und grooven mit. Beim letzten Lied liegt sich ein Pärchen selbstvergessen in den Armen und wiegt sich mit geschlossenen Augen im Takt. Ungewohntes Erlebnis auch nach Ende des Konzerts: Wo sonst die CDs der Künstler wie Sauerbier angeboten werden, stehen die Leute Schlange.

Ganz kurz stellt sich noch die Frage, was der Blues eigentlich beim "Seejazzfestival" zu suchen hat, das an diesem Abend eröffnet wird. Für die Veranstalter des noch jungen Festivals, das Konzerte rund um den Starnberger See organisiert, ist die Rechnung jedenfalls aufgegangen.

© SZ vom 20.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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