Beruf als Berufung:Das fahrende Klassenzimmer

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Immer mit einem Lächeln unterwegs: Cornelia "Conni" Krautwurst ist leidenschaftlich gern Busfahrerin. (Foto: Hartmut Pöstges)

Conni Krautwurst bringt gute Laune in den Bus. Das macht die ehemalige Lehrerin zu einer Frau am Steuer, die von ihren Fahrgästen geschätzt wird.

Von Jana Roth, Wolfratshausen

Geschafft vom Tag, aber endlich auf dem Heimweg. Die S-Bahn hatte mal wieder Verspätung, aber zum Glück hat der Bus gewartet. Während der Fahrgast aus dem Fenster schaut, schließen die ersten Ladenbesitzer ihre Geschäfte, die Laternen sind schon angegangen. Auf einmal wird der Fahrgast aus seinen Gedanken gerissen - von einer ziemlich schrägen Version von Slades "Does she ride a red-nosed reindeer? Lalala". Ein Blick zeigt, es sind keine weiteren Leute mehr im Bus. Es ist die Fahrerin, die hier lauthals den Weihnachtshit auf der Landstraße zum Besten gibt. Wenn das nicht kurz den Alltagsstress in den Schatten stellt und wieder ein Lächeln auf ein müdes Gesicht zeichnet?

Die Sängerin in dieser kleinen Anekdote ist Conni Krautwurst. Erst, als der Halte-stopknopf gedrückt wird, merkt sie, dass sie nicht alleine ist. Seit 16 Jahren chauffiert Krautwurst Menschen zu ihren Zielen und sie hat noch lange nicht genug davon. Eigentlich ungewöhnlich für die 51-Jährige, die zuvor längstens drei Jahre bei einem Arbeitsplatz verweilen konnte, bevor sie sich wieder einer neuen Herausforderung stellte. Doch hier sei sie wirklich angekommen, sagt sie. Krautwurst wird beim RVO geschätzt und unterstützt. "Ich komme gerne hierher und das ist doch eine Grundvoraussetzung, dass man gute Laune haben kann."

Immer mit einem Lächeln unterwegs: Cornelia "Conni" Krautwurst ist leidenschaftlich gern Busfahrerin. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das ist und war nicht immer so. Die "Kröten" des Berufs, wie sie es nennt, das Reinigen des Busses etwa, der Schichtbetrieb und die Pausenregelung, machten ihr natürlich zu schaffen. Aber selbst das ändere nichts an ihrem Grundoptimismus und dem Lächeln im Gesicht. Vielleicht wegen der "tollen Fahrgäste, die mich immer wieder aufmuntern". Während einer dreimonatigen Pause hat Krautwurst den Wert ihrer Arbeit wieder zu schätzen gelernt. "Ich fahr' mit guten Freunden durch diese schöne Landschaft und werde dafür auch noch bezahlt." Und Freunde duzen sich, so auch die Anrede in ihrem Bus.

Eigentlich überqualifiziert für den Beruf, sitzt Krautwurst nach einigen Ausflügen auf das Postradl, das Motorrad und in den Lkw doch hinter dem richtigen Steuer. Sie versucht jede Situation aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Für sie ist ihr Beruf soziales Engagement. Krautwurst ermöglicht älteren Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, vermittelt Kindern Werte und bringt Menschen nach einem anstrengenden Arbeitstag im Bus zum Lachen. Und vielleicht lässt der eine oder andere auch sein Auto öfter stehen, wenn er Positives mit dem Bus verbindet.

(Foto: oh)

Sich in neuen Situationen zurechtzufinden, immer wieder neu anzufangen und zu verstehen, warum andere Menschen so denken oder handeln, das sind Erfahrungen, die Krautwurst sehr gut kennt. Im Rahmen eines Austauschprogrammes kam sie während ihrer Ausbildung als Erzieherin nach Lyon. Aus dem geplanten Jahr wurden zehn und aus der Erzieherin wurde eine Deutschlehrerin. Die Zeit in Frankreich sei ein Wendepunkt in ihrem Leben gewesen. "Zuvor war ich ein schüchternes Schulmädchen", sagt sie. "Dort habe ich gelernt, wer ich bin, was ich kann und dass ich die Fähigkeit habe, andere Menschen zu begeistern." Krautwurst will ihren Beitrag leisten, die Welt etwas menschlicher zu machen. Gegenseitige Rücksichtnahme, Gleichberechtigung, Aufmerksamkeit und Menschlichkeit sind die vier Räder, auf denen sie fährt. Als eine rastlose Lehrerin hat sie ihr perfektes Klassenzimmer gefunden. In den mobilen 30 Quadratmetern kann sie ihre Werte leben und weitergeben. Und ihre Richtung stimmt offenbar: Junge Rabauken, die manch einem Busfahrer Schweißperlen auf die Stirn treiben, sind bei Krautwurst im Bus ruhig und grüßen sie, wenn sie vorbeifährt.

Von ihren Stammgästen wird sie regelmäßig mit Schokolade oder Bonbons versorgt, hier und da gibt es auch mal einen Kaffee. Telefoniert ein Fahrgast mal wieder so laut, dass er den ganzen Bus über seine Finanzen oder seine Scheidung aufklärt, zeigt sie sich als Zuhörerin: "Kannst du das noch mal wiederholen, den letzten Satz habe ich nicht richtig verstanden", und belustigt damit die Fahrgäste. Als Fahrerin sei sie schließlich auch für die Stimmung im Bus verantwortlich. "Alles wird immer so negativ gezeichnet. Man kann sich das Pech einreden. Aber eben auch das Glück."

Jeder könne seinen Beitrag leisten, sagt Krautwurst. Sei es, der Fahrerin ihre wohlverdiente Pause zu gönnen, denn "bei dem Ladenbesitzer beschwert man sich ja auch nicht, dass er nicht schon vor den Öffnungszeiten die Türen aufmacht, nur weil man schon da ist." Oder man singt einfach beim nächsten Weihnachtshit mit.

© SZ vom 23.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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