Beratung:Schnelle Hilfe in der Krise

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Im Landkreis gibt es seit Anfang April einen Psychiatrischen Notdienst, an den sich Betroffene und Angehörige wenden können. Angeboten werden Gespräche am Telefon und Besuche zuhause

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Es hat etliche Jahre gedauert, aber jetzt ist es soweit: Im Landkreis gibt es seit 1. April einen Krisendienst Psychiatrie, der in seelischen Notfällen hilft. Unter anderem mit mobilen Expertenteams, die binnen einer Stunde an Ort und Stelle sind, um Patienten und Angehörigen beizustehen. Ihre Einsätze verlaufen ohne Blaulicht und Martinshorn, wie dies oft der Fall war, wenn über die Rettungsleitstelle bisher Notarzt und Polizei alarmiert wurden. "Dann standen die Betroffenen noch mehr unter Druck", sagt Bezirkstagspräsident Josef Mederer. Zu erreichen ist der Krisendienst unter Telefon 0180-655 3000.

Dafür hat Mederer lange gekämpft, der das neue Angebot am Montag im Tölzer Landratsamt vorstellte. Er musste davon nicht nur die Parteien im Bezirkstag überzeugen, sondern auch Landräte und Kommunalpolitiker mit an Bord holen, ebenso die diversen Akteure von Wohlfahrtsverbänden über Therapeuten bis hin zu stationären Einrichtungen wie Kliniken. In den Aufbau und den Betrieb des Krisendienstes in Oberbayern investiert der Bezirk jeweils 7,4 Millionen Euro pro Jahr. "Wir wollen Zwangseinweisungen zur Ausnahme werden lassen", sagt Mederer. Der neue Dienst soll eine Deeskalation in psychischen Notfällen bewirken und zu einer Entstigmatisierung beitragen. "Wir wollen damit auch erreichen, dass wir weniger stationäre Aufenthalte in Kliniken brauchen."

Das System ist einfach: Eine Leitstelle, die mit Fachleuten wie Psychologen oder einschlägig ausgebildeten Sozialpädagogen täglich von 9 bis 24 Uhr besetzt ist, nimmt die Anrufe von Betroffenen oder Angehörigen unter der Notrufnummer entgegen. In vielen Fällen reiche die Hilfe am Telefon bereits aus, sagt Leiter Michael Welschehold nach den ersten Erfahrungen von etwa 13 000 Anrufen im Vorjahr in München. Die Aufgabe der Leitstelle sei es, zu deeskalieren, zu beraten und zu vermitteln. Genüge das Gespräch am Telefon allerdings nicht, würden zeitnahe Termine bei Therapeuten oder einer ambulanten Beratung vereinbart. Ist der Notfall auch dafür zu kritisch, kommt ein Kriseninterventionsteam zum Einsatz, dass innerhalb einer Stunde bei dem Betroffenen sein soll.

Im Landkreis ist dafür die Caritas mit ihrem sozialpsychiatrischen Dienst zuständig. Etwa 25 Fachleute gibt es für diese aufsuchende Arbeit zwischen Icking und der Jachenau. Sie rücken werktags von 9 bis 21 Uhr, an Wochenenden und Feiertagen von 13 bis 21 Uhr zu Hausbesuchen aus. Diese Kräfte, die in den vergangenen Monaten eigens geschult wurden, "kennen sich gut mit allen psychiatrischen Krankheitsbildern aus und können in Akutsituationen deeskalierend unterstützen", sagt Wolfgang Schweiger, Kreisgeschäftsführer der Caritas. Sie bilden jeweils Zweierteams, denen jedoch kein Arzt angehört. "Es wird ja nicht primär ärztliche Versorgung benötigt", erklärt Welschehold. Die könne allerdings hinzugeschaltet werden, falls doch Bedarf bestehe. Erst wenn all diese Säulen des Krisendienstes nicht tragen, soll der Betroffene stationär eingewiesen werden.

Vor 20 Jahren hat Christel Hansing den "Montagsclub" in Bad Tölz gegründet, eine Selbsthilfegruppe für psychisch Kranke. Als sie selbst einst erkrankt sei und gehört habe, dass sie in die Psychiatrie komme, "da war das für mich entwürdigend und demütigend", sagt Hansing. Dieses Bewusstsein könne durch den Krisendienst abgemildert werden. Außerdem sei es für jemanden, der etwa an Panikattacken leide, beruhigend zu wissen, wen er anrufen könne. Dies unterstrich Bettina Laemmert, die einen Sohn hat, der seit 20 Jahren psychisch krank ist. Als er zum ersten Mal in die Psychiatrie gebracht wurde, "waren wir total hilflos", erzählt Laemmert. Die Einweisung mitsamt der Polizei sei ebenso traumatisierend für ihren Sohn wie für ihren Mann und sie selbst gewesen. Der neue Krisendienst sei "wichtig und hilfreich", weil er für Angehörige und Betroffene eine Anlaufstelle sei.

In drei Jahren möchte Bezirkstagspräsident Mederer das neue Angebot auswerten lassen. Bis dahin müssten die zentrale Leitstelle, die regionalen Netzwerkpartner, Wohlfahrtsverbände und die Institutsambulanzen in den Bezirkskliniken erst einmal Erfahrungen sammeln. "Wir werden dann sehen, wo es Möglichkeiten zum Nachjustieren gibt und was an belastbaren Zahlen herauskommt." Mederer hofft, dass die Anzahl stationärer Aufnahmen von psychisch Kranken durch den neuen Krisendienst nachweislich sinkt. Dies wäre für ihn ein gutes Argument gegenüber den Krankenkassen, die sich daran bisher finanziell nicht beteiligen und "sich ein schlankes Bein machen", wie Mederer kritisiert. Landrat Josef Niedermaier (FW) zeigte sich froh, dass der Krisendienst zum 1. April neben Garmisch-Partenkirchen, Landsberg und Weilheim-Schongau auch in Tölz-Wolfratshausen und Miesbach installiert wurde. "Alle, die ihn brauchen, wissen jetzt, dass es ihn gibt." In psychischen Notfällen drehe sich die Spirale rasch nach unten, weshalb schnelle Hilfe nötig sei.

© SZ vom 04.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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