Benediktbeuern:Feine Walzer mit Dissonanz

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Unterhielt das Publikum im Barocksaal des Klosters Benediktbeuern: das Süddeutsche Kammerorchester. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Das Süddeutsche Kammerensemble spielt Orchesterpartituren im kleinen Rahmen. Der Pianist muss ärztlich versorgt werden

Von Reinhard Szyszka, Benediktbeuern

Ausgerechnet der Frühlingsstimmenwalzer! Draußen herrschten Schnee, Eis und klirrende Kälte, drinnen ließ Johann Strauss die Vöglein zwitschern. Der Gegensatz zwischen Musik und Wirklichkeit hätte kaum größer ausfallen können. Doch das Süddeutsche Kammerensemble hatte sich entschieden, den Unbilden der Witterung zu trotzen und sein festliches Neujahrskonzert gerade mit dem Frühlingsstimmenwalzer zu eröffnen. Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand, dass am Ende des Konzerts ein ähnlicher, diesmal geradezu bestürzender Kontrast zur Realität stehen würde.

Das Süddeutsche Kammerensemble - das sind die Geigerin Angelika Lichtenstern, der Flötist Oliver Klenk, der Klarinettist Tobias Kaiser und der Cellist Philipp von Morgen. Geleitet wird das Ganze von Markus Elsner, der am Klavier sitzt und mit unauffälligen Gesten und Blicken die Gruppe steuert.

Die fünf Musiker hatten Werke der Brüder Johann und Josef Strauss aufs Programm gesetzt. Ein echtes Neujahrskonzert also, was da am Samstag über die Bühne gehen sollte, auch wenn das Jahr schon nicht mehr ganz neu war. Der Barocksaal im Kloster Benediktbeuern war gut besucht, aber nicht bis auf den letzten Platz besetzt.

Jeder Hörer des alljährlichen Wiener Neujahrskonzerts weiß, dass die Walzer, Polkas und Märsche der Familie Strauss für großes Sinfonieorchester geschrieben sind. Eine Aufführung mit nur fünf Instrumenten verlangt also ein Arrangement, eine Reduktion der Partitur auf das Wesentliche. Doch was dabei an orchestralem Glanz verloren geht, wird durch kammermusikalische Feinheit und Durchhörbarkeit wieder wettgemacht.

Das Süddeutsche Kammerensemble glänzte mit präzisem, dabei niemals steifem oder langweiligem Spiel. Dass Flöte und Violine an wenigen Stellen nicht bis zum letzten harmonierten - geschenkt! Viel wichtiger war, dass die Musiker die Walzer im Blut hatten und mit ihrem Schwung und ihrer Begeisterung das Publikum mitrissen. Violine und Klarinette teilten sich die Melodien; die Flöte war meist für die Verzierungen, die Tongirlanden zuständig. Das Cello lieferte nicht nur die Bassgrundierung, sondern konnte sich immer wieder mit schmelzenden Kantilenen hervortun. Lediglich das Klavier beschränkte sich meist auf das M-ta-ta des Walzerrhythmus. Pianist Markus Elsner nahm es mit Humor.

Ein gedrucktes Programm gab es nicht; Elsner führte mit kenntnisreichen Moderationen durch den Abend. Man erfuhr, dass Josef Strauss zunächst Ingenieur gewesen war, bevor er sich ganz der Musik zuwandte, und dass Robert Schumann zwischen Kopfwalzern, Fußwalzern und Herzwalzern unterschied.

Neben den bekannten Nummern hatten die Musiker auch einige zu Unrecht vernachlässigte Stücke im Programm, so die Polka "Frauenherz" von Josef Strauss und den Revolutionsmarsch von Johann Strauss. Zu letztgenanntem Werk lieferte Elsner natürlich den politischen Hintergrund.

Beim letzten Werk vor der Pause, dem Walzer "Wein, Weib und Gesang", merkte man bald, dass etwas nicht stimmte. Elsner am Klavier hörte zunächst zu spielen auf und stützte seinen Kopf auf das Instrument. Dann winkte er seinen Mitmusikern ab, doch die waren so in ihr Spiel vertieft, dass sie es nicht registrierten. Erst ein scharfer dissonanter Klavierakkord beendete den Walzer abrupt. Elsner fühlte sich nicht gut und ließ sich von seinen Kollegen aus dem Saal führen; für das Publikum gab es eine vorgezogene Pause. Ein Arzt wurde eilig herbeigerufen, der sich um Elsner kümmerte.

Nach der Pause wurde zunächst angesagt, dass Elsner weitermachen wolle, doch das ließ der Arzt nicht zu. So erschienen die vier anderen Musiker ohne ihren Leiter und spielten zum vorzeitigen Abschluss des Konzerts ein Stück, bei dem das Klavier entbehrlich schien. Es war dies die Polka "Ohne Sorgen" von Josef Strauss, obgleich die Künstler natürlich in Wahrheit voller Sorgen für ihren Kollegen waren. Mehrfach hatten sie laut "Ha-ha-ha-ha!" zu rufen, obwohl ihnen wahrlich nicht nach Lachen zumute war.

Das Publikum dankte mit warmem Applaus, getragen von den besten Genesungswünschen für Markus Elsner.

© SZ vom 09.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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