Benediktbeuern:Bachs Besonderheit

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Altistin Geneviève Tschumi brillierte mit einer Bach-Kantate. (Foto: Manfred Neubauer)

Meisterkonzert gewährt tiefe Einblicke

Von Reinhard Szyszka, Benediktbeuern

Der Schock saß tief. Die gesundheitsbedingte Absage von Georg Christoph Biller, dem ehemaligen Thomaskantor, hatte die gesamte Programmplanung über den Haufen geworfen. Denn nicht nur Biller, sondern auch sein neugegründeter Kammerchor Leipziger Bach-Solisten blieb zu Hause. Andrea Fessmann, Organisatorin der Iffeldorfer Meisterkonzerte, stand wenige Wochen vor dem Konzert ohne Dirigenten und ohne Chor da. Was also tun? Zum Glück fand sich eine salomonische Lösung. Das Leipziger Barockorchester ist es gewohnt, ohne Dirigenten zu spielen. Die Konzertmeisterin Konstanze Beyer leitet, ganz in barocker Tradition, vom ersten Geigenpult aus ihr Ensemble. Fessmann und Beyer stellten nun auf die Schnelle ein attraktives Programm zusammen, das ohne Chor auskam. Und mit der Schweizer Altistin Geneviève Tschumi fand sich schließlich eine fähige Gesangssolistin. Der Abend - vielmehr der Nachmittag - war gerettet!

Die Iffeldorfer Meisterkonzerte waren schon öfters in Benediktbeuern zu Gast, auch dieses Konzert fand in der Klosterbasilika statt. Judith Kaufmann gab eine Einführung, die natürlich auf das geänderte Programm zugeschnitten war. Unaufgeregt und locker erzählte sie von der weit verzweigten Musikerfamilie Bach: 70 Berufsmusiker in sechs Generationen, und 65 mit dem ersten Vornamen Johann! Kein Wunder, dass es selbst Fachleuten manchmal schwer fällt, die vielen "Bäche" auseinanderzuhalten. Der zweite Vorname Sebastian taucht allerdings nur ein einziges Mal auf. Johann Sebastian Bach ist in jeder Hinsicht unverwechselbar.

Das Leipziger Barockorchester spielt in der Tradition der historisch informierten Aufführungspraxis. Längst sind die Zeiten vorbei, als dieser Musizierstil gleichbedeutend war mit unschönem Klang, unsauberer Intonation und rasenden Tempi. Die Musiker haben gelernt, die Erkenntnisse der Forschung zu integrieren und einen schönen, abwechslungsreichen Klang zu wahren. Obwohl die Leipziger nur Streicher, Oboen und Continuo einsetzten, kam keine Langeweile auf, da die Größe des Ensembles von Werk zu Werk variiert wurde. Die Continuo-Gruppe war mit Orgel, Cembalo, Cello, Kontrabass, Theorbe, Barocklaute und Fagott reichlich besetzt und passte sich ständig den Erfordernissen an.

Das Programm umfasste Werke von drei Komponisten der Bach-Familie sowie von Johann Friedrich Fasch und Georg Philipp Telemann. Zu Beginn eine Orchestersuite von Johann Bernhard Bach, einem Vetter des Johann Sebastian. Die Leipziger zeigten ihr Können bei der energisch vorwärtsdrängenden Ouvertüre, aber auch beim fröhlich hüpfenden Marsch und bei der ruhig ausschwingenden Air. Der nächste Komponist, Johann Michael Bach gehörte noch ganz dem 17. Jahrhundert an und pflegte daher einen "frühbarockeren", weniger avancierten Stil als die späteren Meister. Und es war eine unglückliche Programmwahl, dass die Sängerin Geneviève Tschumi ausgerechnet hier ihren ersten Auftritt hatte. Die recht einfache Melodie in tiefer Lage bot kaum Raum für Gestaltung, und die Stimme wurde oft vom Orchester verdeckt. Bei Fasch und Telemann zeigten sich wieder die Vielfalt und das hohe Niveau hochbarocker Musik.

Nach der Pause dann Johann Sebastian Bach, und die Besonderheit dieses Meisters erweist sich gerade in der Gegenüberstellung mit Johann Bernhard Bach, Fasch und Telemann. Johann Sebastian ist eine Klasse für sich, aber er wächst gewissermaßen organisch aus seiner musikalischen Umwelt heraus. Und hier, bei der Kantate "Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust", konnte auch Tschumi ihre Gesangskunst voll entfalten. Mit sicher geführter, in allen Lagen ausgeglichener Stimme gestaltete sie die Arien und Rezitative ausdrucksvoll, textdeutlich, stimmschön. Eine überzeugende Darbietung der anspruchsvollen Kantate, und manche Zuhörer, die im ersten Teil noch enttäuscht gewesen waren, gingen zuletzt hoch befriedigt aus dem Konzert.

© SZ vom 24.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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