Bayerische Oberlandbahn:"Was für ein Rückschritt"

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Rollstuhlfahrer demonstrieren gegen Lint-Züge bei der BOB

Von Florian Zick, Holzkirchen/Lenggries

Am Holzkirchner Bahnhof hängt ein Banner: "Mobilität ist ein Menschenrecht", ist in großen Buchstaben darauf zu lesen. Rund herum haben sich etwa 30 Menschen gruppiert, viele davon im Rollstuhl oder mit Blindenstock. Sie alle haben sich ein Schild um den Hals gehängt, "Fahrgast 3. Klasse" steht darauf. Und das Mikrofon hat gerade Ralph Seifert in den Händen, der Behindertenbeauftragte im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. "Barrierefreiheit heißt auch, alleine in den Zug steigen zu können", sagt er. "Das ist jetzt hier nicht mehr der Fall."

Vor der Zentrale der Bayerischen Oberlandbahn (BOB) in Holzkirchen hat am Freitag eine Demonstration stattgefunden. Bei sengender Mittagshitze machten die Teilnehmer ihrem Ärger über die neuen Lint-Züge Luft, die seit einigen Wochen zwischen München und dem Voralpenland pendeln. Schon bei der Präsentation der Züge im Mai seien ihm viele Defizite aufgefallen, sagt Markus Ertl, sehbehinderter Gemeinderat aus Lenggries. Die Gänge seien ziemlich eng; mehrere Rampen erschwerten das Durchkommen; die Plätze für die Rollstuhlfahrer seien direkt vor der Toilette; am Behinderten-WC gebe es eine Schwelle; und vor allem: Bei den Lint-Zügen komme man als Rollifahrer nicht mehr alleine in den Zug. An den meisten Haltestellen müsse der Schaffner dazu wegen eines zu großen Abstands zum Bahnsteig jetzt wieder eine Rampe auslegen.

Als sie das erste Mal mit den neuen Lint-Zügen gefahren sei, sei sie "total schockiert" gewesen, sagt Sybille Janisch. Die 65-Jährige ist schwerbehindert, sitzt im Rollstuhl und fährt jede Woche mehrmals von Reichersbeuern nach München. In die jetzt ausgemusterten Integral-Zügen sei sie immer ohne Probleme hineingekommen, sagt sie. Durch die Einführung des neuen Lint-Modells könne sie nun nicht mehr alleine nach München fahren. "Was für ein Rückschritt", schimpft sie.

Auf Einladung des Vereins "Ungehindert", der die Demo organisiert hat, ist auch Bernd Kittendorf nach Holzkirchen gekommen, ein ebenfalls auf den Rollstuhl angewiesener Bahn-Enthusiast. Bei ihm zu Hause in Rheinland-Pfalz, erzählt Kittendorf, würden ebenfalls Lint-Züge eingesetzt. Dort gebe es aber keine solchen Probleme wie im bayerischen Oberland. Denn in Rheinland-Pfalz führen Züge vom Typ Lint 54, die auf eine Bahnsteighöhe von 55 Zentimetern ausgerichtet sind. "Da rolle ich einfach rein", so Kittendorf. Im Oberland sei wegen der besonders hohen Bahnsteigkanten an den Münchner S-Bahnhöfen (96 Zentimeter) aber eine Spezialanfertigung des Lint 54 unterwegs - quasi eine Kompromisslösung. Diese verhindert allzu große Höhenunterschiede, bietet aber auch nirgendwo einen niveaugleichen Einstieg.

Dieses Problem hätte vorab lösen können, glaubt Kittendorf. "Genug Zeit wäre dafür gewesen", sagt er. Hat die BOB also nur schlecht eingekauft? In der Zentrale der BOB in Holzkichen heißt es dazu, um den Fahrzeugaustausch möglichst rasch vornehmen zu können, habe man die Züge beschafft, für die bereits eine Zulassung bestanden habe. Man habe es den Fahrgästen nicht zumuten wollen, noch länger mit störanfälligen Zügen unterwegs sein zu müssen.

© SZ vom 22.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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