Bad Tölz-Wolfratshausen:Kompass durch den Nahverkehrsdschungel

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Der Umweltausschuss des Kreistags befasst sich am Dienstag mit den mannigfachen Baustellen zum Thema öffentlicher Nahverkehr. Hier ein Überblick zu den anstehenden Reformen, Erweiterungen, Plänen und Wünschen

Von Klaus Schieder, Bad Tölz-Wolfratshausen

Wer die Verkehrswende will, muss den Bürgern den Umstieg in Busse und Bahnen schmackhaft machen. Vom Angebot her, vom Preis her. Der Landkreis wird dafür künftig erheblich mehr Geld ausgeben müssen. 2018 lagen die Kosten für den öffentlichen Nahverkehr bei 1,2 Millionen Euro, 2020 sind es knapp drei Millionen. "Das wird so weitergehen, wir werden schon bei fünf bis sechs Millionen Euro landen", sagt Landrat Josef Niedermaier (Freie Wähler). Das Geld fließt in die Tarifreform des Münchner Verkehrs- und Tarifverbundes (MVV), die MVV-Erweiterung, den neuen Nahverkehrsplan des Landkreises, den Ringbus, den Alpenbus, das 365-Euro-Ticket für Schüler. Mit diesem Themen befasst sich der Umweltausschuss des Kreistags in seiner Sitzung an diesem Dienstag, 3. Dezember, 14 Uhr, im Landratsamt.

MVV-Tarifreform

Mit der Reform, die am 15. Dezember in Kraft tritt, wird das Konglomerat aus Zonen, Räumen und Fahrkartensorten entzerrt. Statt 16 Ringen, vier Zonen und drei Räumen gibt es fortan nur noch sieben Zonen. Im Durchschnitt fallen die Preise für die Tickets um sieben Prozent. Das Tarifsystem gilt für den gesamten Norden des Landkreises, nach Süden hin bis Bad Tölz und Bad Heilbrunn. Wolfratshausen und Bad Tölz liegen im neuen Zonenplan in einem grauen Überlappungsstreifen zwischen zwei Zonen. Die Fahrgäste dort können die billigere Zone wählen. Neu sind ein Sozialticket für Sozialleistungsempfänger, Asylbewerber sowie junge Leute im Freiwilligen Sozialen Jahr oder Bundesfreiwilligendienst, eine IsarCard65, bei der die morgendliche Sperrfrist von 6 bis 9 Uhr wegfällt, und eine eigene Streifenkarte für Jugendliche von 15 bis 20 Jahre.

"Es wurde ein guter Spagat geschafft zwischen einem attraktiven Tarif und dem, was wir an Ausgleichszahlungen leisten müssen", meint Matthias Schmid, Fachbereichsleiter ÖPNV im Landratsamt. Unterm Strich soll die Reform "erlösneutral" ablaufen, wie Niedermaier betont. Dies bedeutet: Im großen Topf des MVV dürfe nicht weniger drin sein als vorher, sagt er. Andernfalls müssen unter anderem die acht Verbund-Landkreise als Gesellschafter die Differenz ausgleichen. Im MVV stünden Ausgaben von etwa 1,8 Milliarden Euro pro Jahr (ohne Investitionen) rund 950 Millionen Euro an Einnahmen gegenüber. Der Landkreis Tölz-Wolfratshausen hat 323 000 Euro für den möglichen Ausgleich im Haushalt 2020 vorgesehen.

MVV-Erweiterung

Eine Ausdehnung des MVV-Gebiets in den gesamten Landkreis wird schon seit zwei Jahrzehnten gefordert. Das scheiterte immer wieder an den hohen Kosten, außerdem wollte niemand eine Art Insellösung haben, wo die MVV-Busse nur bis an die Grenze zu den Nachbarlandkreisen Weilheim und Miesbach kurven. Außerdem müsste der MVV-Tarif auch für Bahnen wie die BOB oder die Werdenfelsbahn gelten. Erst als Ministerpräsident Markus Söder (CSU) verkündete, ganz Bayern nahverkehrsmäßig in Verbünden zu ordnen, und eine eigene Abteilung im Verkehrsministerium schuf, kam wieder Bewegung in die Debatte. "Wir haben bei der Tarifreform zur Bedingung gemacht, dass die MVV-Verbunderweiterung verankert wird", sagt Niedermaier. Auch die Kreistage der Landkreise Miesbach und Weilheim-Schongau haben eine Ausdehnung des MVV mittlerweile befürwortet. Der Freistaat gab bei seiner Tochter MVV Consulting GmbH eine Studie in Auftrag, die auch noch Städte und Landkreise umfasst, die nicht mehr nahe an München liegen: Stadt und Landkreis Rosenheim, Stadt und Landkreis Landshut, Garmisch-Partenkirchen, Miesbach, Weilheim, Mühldorf und Landsberg.

In einer ersten Phase, so Fachberereichsleiter Schmid, werde 2020 der Ist-Zustand an Angeboten und Tarifen erfasst. Überdies soll die Frage der "verkehrlichen Sinnhaftigkeit" geklärt werden. Das bedeute zum Beispiel, ob sich ein Bus nach München angesichts der Lebensbeziehungen in einer Gemeinde überhaupt lohnt. In Phase zwei sollen das ganze Jahr 2021 über Fahrgäste in Bussen und Bahnen befragt werden. Zum Beispiel: Welches Ticket nutzen Sie? Wo kommen Sie her, wo wollen Sie hin? Wie oft fahren Sie mit diesem Verkehrsmittel? Und so fort. "Das macht die Studie teuer", sagt Schmid. Sie kostet circa neun Millionen Euro, der Freistaat trägt davon 7,7 Millionen. Falls die MVV-Erweiterung kommt, will der Freistaat zwei Drittel der Verluste auf der Schiene, für die er alleine zuständig ist, übernehmen. Ein Drittel sollen die Landkreise schultern. Warum? "Das ist die Frage, die wir auch noch stellen werden", sagt Niedermaier.

Nahverkehrsplan

Wenn die S 7 nach Geretsried fährt, braucht der Landkreis einen ganz anderen Nahverkehrsplan. Damit will er aber nicht warten, bis die S-Bahn in ein paar Jahren wirklich kommt. "Wir haben gesagt, wir steigen vorher ein", sagt der Landrat. Auch Miesbach und Weilheim-Schongau seien gerade dabei, ihre Nachverkehrspläne neu zu fassen. Schmid zufolge soll die MVV Consulting im Auftrag des Landkreises die Grundlagen erarbeiten. "Da gibt es Synergieeffekte in Bezug auf die Verbunderweiterung des MVV", erklärt er diese Wahl.

Bislang gab es eine Schwachstellenanalyse, die Prognose der künftigen Entwicklung, die Beteiligung von Schulen und Kommunen mit ihren Wünschen. Der Umweltausschuss muss sich an diesem Dienstag nun mit der Rahmenkonzeption befassen. Zum Beispiel damit, ob er der Festlegung der Hauptverkehrszeiten auf 6 bis 9 und auf 16 bis 20 Uhr zustimmt. Und ob eine Bushaltestelle in Bad Tölz, Geretsried und Wolfratshausen nur maximal 300 Meter vom Wohnort entfernt liegen darf. "Das ist maßgeblich für die Akzeptanz des Systems", sagt Niedermaier. Der nächste Schritt wär dann die Konkretisierung des Nahverkehrsangebots mit einem dichteren Takt oder auch neuen Linien. Dies soll in jeweils eigenen Workshops im Norden des Landkreises, im Loisachtal und im Isartal diskutiert werden. Schmid hofft, dass der Kreistag den neuen Nahverkehrsplan im Herbst 2020 beschließen kann.

Ringbus und Alpenbus

Wer ohne Auto quer durch den südlichen Landkreis fahren will, muss eine Menge Zeit mitbringen. Die Verbindung von Penzberg nach Miesbach sei mit Verlaub gesagt "beschissen", meint der Landrat. Dieses Manko soll der Alpenbus beheben. Der soll zwischen Rosenheim und Murnau oder Weilheim verkehren. Die genaue Route, die Anzahl der Haltestellen - all dies wird von MVV Consulting berechnet. Im Februar 2020 soll über die Wegführung entschieden werden, avisiert Schmid. Wichtig ist für Niedermaier, dass die betroffenen Landkreise gegenüber der Regierung und den Ministerien mit einer Stimme sprechen, und einzelne Bürgermeister nicht wegen Proteststimmen aus ihren Gemeinden dort separat vorstellig werden. Was die Nord-Süd-Route per Bus angeht, so steigen immer mehr Leute in die MVV-Linie 379 von Wolfratshausen nach Bad Tölz ein. Eine Fahrgastzählung von Juli bis November ergab eine Steigerung werktags von rund 30 Prozent, sonntags gar von 114 Prozent. Dies zeigt auch, wie nötig die beiden Expressbus-Linien zwischen Wolfratshausen und Tölz sind, die im Dezember 2021 starten sollen. Dafür werde man "finanziell kräftig in Vorleistung gehen", betont Niedermaier. "Wir werden da einen lagen Atem brauchen." Der Landkreis kalkuliert mit Kosten von 4,5 Millionen Euro für fünf Jahre. Beschlossen ist der Ringbus im Norden von Starnberg über Wolfratshausen und Egling nach Deisenhofen.

365-Euro-Ticket

"Eine Schnapsidee wurde geboren, und davon kommt man nicht mehr weg": So kommentiert der Landrat das 365-Euro-Ticket für Schüler. In einer "Wenn-vielleicht-könnte-Rechnung" koste dies vermutlich 350 000 Euro pro Jahr. Bislang zahlte der Landkreis den Schülerinnen und Schülern die Fahrkarte zur nächstgelegenen Schule, ausgenommen in den Ferien.

Das neue Ticket bezeichnet Niedermaier als ungerecht, weil etwa Kinder, die in Tölz zu Fuß in die Schule kommen, davon nichts haben, während andere damit auch kostenlos zu den Fußballspielen des FC Bayern fahren. Außerdem könnten sich andere Interessensgruppen wie etwa Senioren ungleich behandelt fühlen. Und noch etwas: Das alte System, den Weg nur bis zur nächsten Schule zu bezahlen, gilt auch weiterhin, wenn es um die Wahl der Schule geht. Sonst drohe die Gefahr, dass beliebte Schulen überfüllt seien, andere hingegen leer blieben, so Schmid.

© SZ vom 03.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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