Bad Tölz:Getanzte Bewerbungsgespräche

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Vorstellungsgespräch mal anders: Beim Tölzer Theaterprojekt "ReAl" tanzen und schauspielern Jugendliche vor potentiellen Arbeitgebern.

Elisa Linseisen

Maxi Weber steht in weißem Kapuzen-Sweatshirt und Baggy-Jeans auf der Bühne des Tölzer Kurhauses und rappt Bushidos "Es sind eure Kinder". Unten im Publikum sitzen jede Menge Arbeitgeber aus dem Landkreis. Ein etwas anderes Bewerbungsgespräch ist die Tanztheateraufführung nach Frank Wedekinds "Frühlings Erwachen" am Donnerstagabend. Was nach einem klassischen Kulturtermin klingt, bedeutet für 44 Jugendliche der Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme des "ReAL Isarwinkel Verbunds" mehr also Unterhaltung.

Vorstellungsgespräch mal anders: Das Theaterprojekt "ReAl" im Tölzer Kurhaus. (Foto: Manfred Neubauer)

"Die sollen mich ernst nehmen", sagt Weber. Vor der Aufführung hat er mit seinem Tanzpartner die Schrittfolge des Auftritts wiederholt: "Du kommst von rechts oder?" Unermüdlich hat er jede Bewegung überprüft. Denn: "Umso mehr man's durchzieht, umso besser wird's" - das hat der 15-Jährige aus dem 17-tägigen Workshop mit Choreographin Annette Taubmann und Regisseurin Jule Torhorst, gelernt.

"Leistung, Pünktlichkeit, Kreativität und Disziplin" - diese "Primärtugenden" ordnet auch der Arzt und ReAl-Geschäftsführer Arnold Torhorst dem Tanzprojekt zu. Theater sei zwar ein anderes Medium, aber die Anforderungen seien ähnlich wie im Beruf.

"Am Anfang war die Disziplin nicht da", erinnert sich Christian Höflich, Koordinator des ReAl-Bildungszentrums, an Startschwierigkeiten bei den Proben. Er und seine Kollegen mussten dafür sorgen, dass die Gruppe funktioniert. "Zum Schluss haben sie sich dann selbst kontrolliert", erzählt Höflich. Als ein Teilnehmer krank war, haben die anderen Jugendlichen bei ihm angerufen: "Hey, wir brauchen dich - hier!" Mit diesem Beispiel beschreibt Höflich die entstandene Gruppendynamik.

Auch am Abend der Aufführung wird die Zusammengehörigkeit deutlich. Nicht nur die inszenierten Gruppenelemente auf der Bühne, wie Menschenmauern, sondern auch der soziale Umgang vermitteln dies. Bei kleineren Pannen halten die Schauspieler zusammen und motivieren einander durch Kommunikation über Blicke und kleine Gesten. "Letztes Jahr wurden zwei Stellen über das Theater vermittelt", erzählt Höflich und lässt den Transfer von Bühne zu Büro noch deutlicher werden. Für Andreas Obermüller hatte der Workshop eine andere berufliche Bedeutung: "Das Projekt hat meine Leidenschaft geweckt", erzählt der 17-Jährige. "Ich will Schauspieler und Stuntman werden." Sein Talent präsentiert er in wagemutigen Saltos und lustigen Einlagen als Lehrerhilfskraft "Habebald".

Durch Erfolgserlebnisse sollen die jungen Leute motiviert werden, im Leben weiterzugehen, erklärt Höflich. Der tobende Applaus tut sein übriges: "Die Jugendlichen sind einen Kopf größer nach dem Projekt", sagt er.

"Man muss leben", rufen die Jugendlichen Lars Kirchner als "Melchior" zu. Der Junge steht mit einer Pistole im Zentrum der Bühne. Die Stimmen, die auf ihn einprasseln, erzählen Schicksale, geben Ratschläge und versuchen ihn von einer Fehlentscheidung abzubringen. Immer wieder stürzt ein Junge oder ein Mädchen aus der Menge und entreißt Melchior die Waffe. Schließlich legt er sie nieder: "Leben!".

Entscheidung - Möglichkeiten nutzen und handeln: Diese Thematik beherrscht das Stück. Wie nahe man hier an den Jugendlichen ist, demonstriert die authentische Darstellung. "Gebt mir 'ne Chance!" schreit Basti Mehl, in seiner Rolle als "Moritz", während er seinen Willen zur Aktion mit Liegestützen untermalt.

Entscheidung - der Appell fließt von der Bühne ins Publikum: die 44 Jugendlichen zeigen während des Raps "Es sind eure Kinder" auf ihre Zuschauer. Auch wenn sie das Wort hatten, jetzt sind andere an der Reihe abzuwägen und zu handeln: die Arbeitgeber, in ihrer Rolle als Arbeitgeber.

© SZ vom 19.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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