Bad Tölz:Du bist ein Apfel

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Die Improtheater-Gruppe in der Alten Madlschule in Bad Tölz ist wieder offen für Neuzugänge - am Donnerstag waren auch drei Flüchtlinge da. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Ungewissheit aushalten - mit der Gewissheit, nichts falsch machen zu können: Beim Improtheater in der Tölzer Madlschule geht es nicht um Performance-Sport, sondern um Selbsterfahrung. Jetzt ist die Gruppe wieder für alle offen

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Schon die Vorstellungsrunde läuft anders ab, als man das sonst gewohnt ist. Als "Lothar" stellt sich einer vor und fügt einen kleinen Hüftschwung an. "Lisssssy" zischelt eine andere Teilnehmerin mit schlängelnden Armbewegungen. Dann stellen sich alle zum Aufwärmtraining im Kreis auf und geben das "Swisch" weiter oder stoppen es mit einem "Boing".

Klingt komisch? Ist es auch. Und noch viel mehr. Denn Improtheater, wie es jeden Donnerstag in der Alten Madlschule gespielt wird, ist eine faszinierende Sache. Ein zweckfreies Spiel für den Moment, das die kindliche Lust am Rollenspiel weckt. Aus einer vorgegebenen Situation oder Eigenschaft entwickeln die Teilnehmer eine kurze Szene. Wichtig ist Spontaneität und das Sich-Einlassen auf den Partner. "Freeze", sagt Theaterpädagoge Jürgen Reif. Dann wird die Körperhaltung des Protagonisten eingefroren und an den nächsten weitergegeben, der daraus eine völlig andere Situation entwickeln kann. Was als "Ich bin ein Apfel" beginnt, führt in einer abenteuerlichen Assoziationskette über den Liebhaber im Schrank, zum Vampirbiss bis zum Gin Tonic.

Seit drei Jahren gibt es die offene Improtheatergruppe in der Madlschule, bei der jeder mitmachen kann. Theatererfahrung ist keine Voraussetzung. Am Donnerstag sind fast 20 Teilnehmer gekommen, auch Jugendliche und drei Flüchtlinge. Viele sind neu, wie Aisha und Fadi. Dass die beiden Syrer noch nicht Deutsch sprechen, ist kein Problem: Reif übersetzt, manche Runden werden auf Englisch gespielt, vieles funktioniert über Nachmachen.

In der Alten Madlschule ist es noch ein bisschen kühl - es dauert, bis sich der Ofen warm gelaufen hat. Nicht so die Teilnehmer: Sie sind von Anfang an mit Feuereifer dabei, es wird viel gelacht, von distanzierter Scheu keine Spur. Dass die Atmosphäre so entspannt ist, hat viel mit Reifs ruhiger Art zu tun. Er ist ein erfahrener Theaterpädagoge, ein Urgestein der Tölzer Impro-Szene, die es schon seit 20 Jahren gibt. Der 49-Jährige, der im wirklichen Leben Softwareberater ist, weiß, wann Musik nötig ist oder ein ausgelassener Tanz zwischendurch. Dass am Donnerstag so viele gekommen sind, freut ihn. Im November hat die Gruppe die Zuschauer beim Leonhardi-Kleinkunstabend mit einer abgedrehten Impro-Pferdenummer begeistert und war während der Probenzeit für Neueinsteiger geschlossen. Nun ist sie wieder für alle offen. Reif hofft, dass sich ein fester Stamm bildet.

Bei der Theaterpädagogik geht es anders als beim "Impro-Sport" nicht um die Performance vor Publikum. Für Reif geht es um Selbsterfahrung. Aufmerksam werden, "vom Denken weg und ins Fühlen reinzukommen". Ein wesentlicher Aspekt ist: Sich auf unbekannte Situationen und Bühnenpartner einlassen, die Ungewissheit auszuhalten mit der Gewissheit, nichts falsch machen zu können. Zwei Dinge unterscheiden das Improtheater vom wirklichen Leben: Niemand wird beurteilt - und ein Muss gibt es nicht. Trotzdem könne jeder die Erfahrungen für sein Leben und seinen Beruf nutzen, sagt Reif. Denn in fast jedem Beruf gebe es "Bühnensituationen" - Vorträge und Präsentationen vor Publikum zum Beispiel.

Das kann Regina Deflorin-D'Souza nur bestätigen. Sie habe durch Improtheater gelernt, bei schwierigen Patienten spontaner und flexibler zu reagieren, sagt die Physiotherapeutin. Sich auf Intuition und Bauchgefühl zu verlassen und "ganz im Moment sein", nennt sie das. Gelungen sei ein Impro-Abend dann, "wenn es flutscht und sich die Partner die Bälle wie beim Pingpong zuspielen", findet Dagmar Sixt. Die 60-Jährige, die viel jünger wirkt, ist ebenfalls ausgebildete Trainerin und unterstützt Reif. "Improtheater ist ein Jungbrunnen", sagt sie und lacht. Denn wo sonst dürfe man seine Wut herauslassen, die hochnäsige Königin oder den grölenden Hertha-BSC-Fan geben. Ohne vorgegebenen Text und so, wie es der eigenen Persönlichkeit entspricht. "Das kann jeder", sagt Sixt. "Man muss sich nur trauen."

Improtheater, jeden Donnerstag 19 Uhr, Alte Madlschule, Schulgasse 3

© SZ vom 20.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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