Manche sind modern, manche historisch: Rund 25 Faltboote legen am Samstag um 10 Uhr in Bad Tölz ab, um auf der Isar bis nach Schäftlarn zu fahren. Den Startschuss zur Regatta gibt Gabriele Stirnimann: Die 89-jährige Tölzerin sieht darin eine Selbstverständlichkeit, schließlich sei sie selbst "ein Fossil der Faltbootwerft". Sie ist mit Faltbooten aufgewachsen, ihr Vater, Hans Hoeflmayr, war Mitbegründer der Tölzer Werft "Pionier".
Hoeflmayr stammte aus München und war im Ersten Weltkrieg ein Pionier-Offizier - daher der Markenname der Faltboote. Im Jahr 1925 gründete er die Werft gemeinsam mit seinem Schulfreund, dem Flugzeugingenieur Hermann Locher. Ein solches Faltboot bestand aus einer Haut aus imprägnierter Baumwolle und einem Holzgerüst - "Faltboot fahren war damals das ganz große Ding", sagt Stirnimann. Denn die Besitzer konnten es zusammenbauen und mit Bus oder Bahn transportieren. Sie waren nicht auf ein eigenes Auto angewiesen. So war es möglich, das Boot in verschiedenen Gewässern zu nutzen.
Die "Pionier"-Faltboote unterschieden sich von anderen Marken in der Konstruktion: "Die Boote waren sehr elegant und schön gebaut und hatten eine besonders schlanke Spitze." Dadurch fuhren die "Pioniere" schneller als andere Boote. Die Gründer gingen nach Bad Tölz, "denn ein Wasser braucht man schon, wenn man Boote baut", so Stirnimann. Warum sie ausgerechnet diese Stadt auswählten, weiß sie nicht: "Vielleicht hat es ihnen hier besser gefallen." Bad Tölz sei damals eine hübsche und elegante Stadt gewesen, durch die wohlhabenden Kurgäste verbuchten die Tölzer große Einnahmen: "Das waren die glorreichen Zeiten in Bad Tölz."
In den Anfangsjahren "haben wir zwei bis drei Boote am Tag verkauft, und noch mit einem Leiterwagen transportiert". Vor dem Zweiten Weltkrieg florierte das Geschäft und das Unternehmen wuchs: "Vor den Oster- und Sommerferien war die Hölle los" - die Menschen kauften sich die Boote, um in den Ferien damit auf der Isar zu fahren oder sie mit in den Urlaub zu nehmen. Als Kind habe sie sich nicht dafür interessiert, wie viele Faltboote verkauft wurden: "Ich hab bloß gewusst, die Bude brummt." Ein Faltboot kostete damals rund 500 Reichsmark und war etwas für Jedermann. "Sportliche Menschen kauften Faltboote, vom Handwerker bis zum Akademiker - diejenigen, die im Winter Ski fahren." Nur sie als Tochter eines der Gründer fuhr ihr ganzes Leben lang mit keinem einzigen Faltboot: "Es ist sich einfach nie ausgegangen."
Bei den Mitarbeitern, in den besten Zeiten bis zu 80, soll der Gründer und Chef Hoeflmayr beliebt gewesen sein: "Er hat sich sehr um seine Leute gekümmert. Durch seinen Beruf als Offizier war er ein guter Menschenführer. Die Leute haben gemacht was er gesagt hat. Und er hat auch immer rechtzeitig gezahlt." Sie beschreibt ihren Vater: "Er hat vieles gekonnt, aber er war kein gewiefter Geschäftsmann, im Sinne von: Wie kann ich meinem Konkurrenten das Genick brechen."
Stirnimann war als Kind oft in der Faltbootwerft, ihr Elternhaus lag gleich gegenüber. Die Faltbootwerft war für das junge Mädchen eine herrliche Sache: "Ich durfte überall hin, alle haben mich gekannt." Alles, was das Herz begehrt, habe es gegeben: Nähmaschinen, Schleifmaschinen, sie habe sogar lackieren dürfen. "Ich hatte eine grandiose Jugend", sagt Stirnimann heute. Das Firmengelände habe sie dabei als "erweitertes Betätigungsfeld" angesehen, auf dem sie sich ausleben konnte. Alle Mitarbeiter kannten sie, die Werft war wie ihr Zuhause: "Ich hatte das Gefühl, daheim zu sein, nicht in einer Fabrik."
Während der Jahre des Zweiten Weltkriegs änderte sich die wirtschaftliche Lage der Werft: Es gab weniger Material für den Bau der Boote, Mitarbeiter wurden an die Front berufen. Auch die Auftragslage veränderte sich, die Werft musste für die Wehrmacht produzieren. Frauen nähten Zeltbahnen, "zum Teil auch in Heimarbeit". Faltboote wurden kaum produziert. Die Teilung der Bundesrepublik in Ost- und Westdeutschland stellt die Faltbootwerft vor weitere Probleme: "Durch die niedrigen Preise in der DDR wurden die westlichen Bootsbauer haushoch unterboten." Die wirtschaftliche Lage wurde für die Tölzer Firma immer schwieriger.
Ingenieur Locher stieg Ende der 1960er Jahre aus dem Unternehmen aus - wohl nicht nur aus betrieblichen Gründen, wie Elisabeth Hinterstocker vom Stadtmuseum Bad Tölz erzählt: "Locher und Hoeflmayr waren nicht mehr auf einer Wellenlänge." Hoeflmayr verkaufte die Werft einige Jahre später. "Er mochte nicht mehr, er konnte auch nicht mehr, er zahlte nur noch drauf", erzählt Stirnimann. Die neuen Käufer hätten sich jedoch schwer getan, und das Geschäft sei nicht mehr in Fahrt gekommen, erklärt Hinterstocker: "Sie experimentierten viel herum, auch mit Gummihäuten." Doch die Firma konnte keinen Gewinn mehr erzielen. Hoeflmayr blieb nach dem Verkauf der Werft noch einige Jahre Geschäftsführer, um die Käufer mit seinem bekannten Namen zu unterstützen. "Aber Mitte der 1970er Jahre wird es ruhig um die Werft, es hört irgendwie auf, es gab keine offizielle Firmenauflösung", erzählt Hinterstocker. Hoeflmayr erlebte das langsame Ende der Faltbootwerft noch selbst mit: Er starb im Jahr 1975. Mit der Regatta am Samstag will die Stadt Bad Tölz erneut an den Pionier erinnern.