Bad Tölz:Beats gegen Belästigung und Bedrängung

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200 Frauen, aber auch Männer und Kinder setzen bei der Aktion "One Billion Rising" in Bad Tölz ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen. Die ist für viele noch immer Alltag - auch in Deutschland.

Von Claudia Koestler, Bad Tölz

Der Glockenschlag pünktlich um 15 Uhr wurde von wilden Sambarhythmen übertönt. In der Tölzer Marktstraße waren sie an diesem Dienstagnachmittag nicht zu ignorieren, immer intensiver prasselten sie auf die Gehörgänge ein: Die Gruppe Sambavaria schritt langsam hinauf bis zum Winzererdenkmal und riss dabei mit ihrem pochenden Rhythmus viele Neugierige mit. Oben angekommen formierten sich Passanten und Aktivisten zu einer Schar von mehr als 200 Männern, Frauen und Kindern. Sie alle wollten an diesem Tag ein Zeichen setzen: gegen Gewalt an Frauen, für Gleichberechtigung und respektvollen Umgang. So wie es an diesem Tag vielleicht weltweit eine Milliarde Menschen taten. Bad Tölz nämlich beteiligte sich an der globalen Aktion "One Billion Rising", zu Deutsch: eine Milliarde erhebt sich. Eine Bewegung für Frauen, die 2012 von der New Yorker Künstlerin Eve Ensler initiiert wurde, und an der Bad Tölz heuer zum ersten Mal teilnahm - als einzige Stadt im Landkreis und der Region.

Trotz aller gesellschaftlicher Errungenschaften: Es sind noch immer insbesondere Mädchen und Frauen, die Opfer von Diffamierung, Belästigung, Bedrängung und Nötigung werden. "60 bis 70 Prozent aller Frauen in Deutschland haben schon Gewalt erlebt - das reicht vom sogenannten cat calling, also dem Hinterherpfeifen, über verbale Attacken bis hin zu körperlicher Bedrohung, aber auch subtileren Arten von Gewalt", sagte Kerstin Barth, Geschäftsführerin des Kreisjugendrings Bad Tölz-Wolfratshausen (KJR) und eine der Organisatorinnen der Aktion. "27 Prozent der Menschen in Deutschland haben jüngst sogar in einer Studie erklärt, es gebe Situationen, da sei es in Ordnung, wenn der Geschlechtsverkehr nicht einvernehmlich ist", wusste sie. "Und ja, auch ich bin schon mal diskriminiert und belästigt worden", gab sie im Gespräch zu. Kreisjugendpflegerin Verena Peck kennt es ebenfalls aus eigener Erfahrung und aus dem Freundeskreis, dass Frauen "öfters mal blöd angemacht werden".

Wenn man die Welt heute betrachte, insbesondere das jüngste Wahlergebnis in den USA, "dann ist die Gleichstellung noch immer auf dünnem Eis gebaut", bedauerte Barth. Zusammen mit dem Jugendhaus La Vida, dem KJR, der Tölzer Jugendförderung, der mobilen Jugendförderung Wolfratshausen, der Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises und der Kreisjugendpflege sollte die Aktion in Tölz deshalb "möglichst viele Menschen erreichen und einen Anstoß zum Nachdenken geben", wie Barth sagte. Das Ganze ausgerechnet an einem Werktag, das gehöre ihr zufolge zum Konzept: "Frauen sollen die Arbeit niederlegen, für ihre Rechte einstehen und sich solidarisieren." Und zwar mit einem Tanz. Zwar wurden zum Disco-Beat von "Break the Chain" (Zerreiß' die Kette), das extra für die Aktion komponiert wurde, nur die Tanzgruppen aktiv. Das aber tat dem Erfolg der Aktion keinen Abbruch. Denn dass sich so viele Menschen, darunter auch viele Männer, in Tölz klar für Gleichstellung positionierten, war für Barth "ein cooles Bild, das Mut macht."

© SZ vom 15.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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