Bad Tölz:Auf Augenhöhe

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Tobias Hohenacker interessiert nicht das Spektakel der Tölzer Leonhardifahrt, sondern die Spiritualität dahinter. (Foto: Manfred Neubauer)

Tobias Hohenacker hat für seine Ausstellung "Lehards" vor allem Pferdeblicke fotografiert - analog und ohne Teleobjektiv. Ihm geht es um Respekt und Transzendenz

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Wer an die Leonhardifahrt denkt, hat gleich einen Film im Kopf: Farbenprächtige Gespanne, Bewegung, Trubel. Eine andere Sicht auf die Wallfahrt vermittelt der in Tölz geborene Fotograf Tobias Hohenacker: Er hält das Kopfkino an, reduziert den ablaufenden Film auf Ausschnitte und nimmt die Farben aus dem Bild. Seine Schwarz-Weiß-Fotografien wollen nicht die Bewegung zeigen, sondern die Begegnung; nicht Spektakel, sondern den stillen Moment. Die Protagonisten seiner Fotografien, die zurzeit unter dem Titel "Lehards" im Tölzer Stadtmuseum zu sehen sind, sind nicht die Menschen, sondern die Pferde.

Die Aufnahmen hat Hohenacker in den Jahren 2002 bis 2006 auf dem Kalvarienberg gemacht, während der Messe, wenn die Tiere die anstrengende Fahrt hinter sich gebracht hatten. Es sind ruhige Bilder: Nüstern, die sich an einen Ärmel schmiegen, schläfrige Augen. Nicht Muskelspiel oder schäumende Flanken rückt Hohenacker in den Fokus, er konzentriert sich auf die Augen: Skeptisch ist dieser Blick aus Pferdeaugen zuweilen, drückt Unwohlsein aus mit dem üppigen, goldenen Geschirr und den scharfen, dünnen Trensen. Oft zeigt er aber auch ein Ganz-bei-sich-Sein und eine beinahe zärtliche Verbundenheit zwischen Mensch und Pferd.

"Nach der Arbeit Schwere an Lehards die Rösser ehre", so lautet der Leitspruch der Leonhardifahrt, der auch an der Wand der Ausstellung geschrieben steht. Hohenacker, der in Dietramszell lebt, ist mit der Leonhardifahrt aufgewachsen. "Ich finde es wunderbar, dass diese Tradition aufrecht erhalten wird", sagt der 57-Jährige. Es sei ein schönes Ritual, das Pferd als einstigen Arbeitsgefährten des Menschen zu ehren. Auch, wenn sich die symbiotische Beziehung mit dem Einzug der Technik verändert habe.

Für die fast meditativen Pferdeportraits muss man sich Zeit nehmen, damit hinter den einfachen Motiven jene Fragen auftauchen, die Hohenacker mit seinen Bildern heraufbeschwören will: Wie gehen wir mit unserer Welt und ihren Geschöpfen um? Wie halten wir es mit der Tradition? Ein Angebot zur Reflexion sei das, keine Belehrung, betont der Fotograf. Seine Bilder will er als künstlerische Auseinandersetzung mit der Leonhardifahrt verstanden wissen; nicht als Dokumentation, sondern als Interpretation. Fotografieren ist für ihn ein Prozess der Transzendenz, der den erlebten Moment in eine neue Realität überführt.

Hohenacker hat an der Theologischen Hochschule in Benediktbeuern Philosophie-Vorlesungen besucht und in München Kunsterziehung studiert. Er nahm an diversen Workshops teil und arbeitete in New York und Hongkong als Assistent bei renommierten Fotografen. Seit 30 Jahren werden seine Bilder im In- und Ausland gezeigt. Er arbeitet für Verlage und Unternehmen, vornehmlich in den Bereichen Portrait- und Architekturfotografie.

Nun also "Lehards". Als er im Jahr 2001 beobachtete, wie der Kameramann eines Privatsenders auf einem der Wagen betende Frauen filmte und so die Innigkeit des Moments störte, sei das für ihn wie eine Initialzündung gewesen: Er wollte der Leonhardifahrt in seinen Bildern die Spiritualität zurückgeben. Und er wollte sie in Schwarz-Weiß fotografieren. Um die farbenfrohen Trachten sei es ihm nie gegangen, sagt er.

Seine analogen Fotografien sind nicht bearbeitet und nicht geschnitten: "Ich nehme den Moment, so wie er im Sucherfeld erscheint", sagt Hohenacker. Nachträgliche Veränderungen kämen einer "Vergewaltigung" gleich. Hohenacker verwendet auch kein Teleobjekt. Wenn er seine Bilder macht, geht er nah ran, so nah, wie das der realen Distanz entspricht. "Ich würde auch in einer Straßensituation niemand mit dem Teleobjektiv fotografieren", sagt er. Für ihn ist das eine Frage des Respekts. Er wolle Menschen, Tiere oder Landschaften nicht aus der Ferne mit der Kamera "abschießen".

Nur zwei der 21 Bilder nehmen die Leonhardifahrt als Wagenzug in den Blick. Fotografiert von hinten auf dem Rückweg vom Kalvarienberg: Bei Hohenacker wirkt das, als befände sich eine erschöpfte Armee auf dem Rückzug. Die Farben grau, auch der angrenzende Wald mit den dürren Fichten sieht mitgenommen aus. Hohenacker erinnert sich genau, dass er damals noch ein letztes Foto auf dem Film hatte. "Und ich wusste, ich muss dieses Bild machen": Den Moment einfangen, der eine Geschichte erzählen kann.

"Lehards", Neue Galerie im Tölzer Stadtmuseum, bis 6. Dezember, geöffnet Di bis So, 10 bis 17 Uhr

© SZ vom 17.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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