Ausverkauftes Kurhaus:Der Lieblings-Italiener

Lesezeit: 3 min

Umschwärmter Liedermacher: Pippo Pollina spielt zur Freude seines Publikums auch auf der Klaviatur der Gefühle. (Foto: Manfred Neubauer)

Grande emozione mit Pippo Pollina in Bad Heilbrunn

Von Susanne Hauck, Bad Heilbrunn

Ein bisschen Revoluzzer, ein bisschen Ramazotti. Eros natürlich, nicht der Magenbitter. Das ist die eingängige Formel, mit der Pippo Pollina die Konzerthallen mit 500, 1000 Besuchern locker voll bekommt. Ein kleines Wunder also, dass er am Mittwochabend nach Bad Heilbrunn kam, wo der Kursaal nicht größer als eine Schulaula ist. Rosi Rieker von der Gästeinformation kann ihr Glück kaum fassen, dass es ihr gelungen ist, den sizilianischen Barden in die Kommune zu holen. Sie habe sich ein Herz gefasst und bei der Konzertagentur angefragt, erzählt sie zur Begrüßung im ausverkauften Saal. Und zur großen Überraschung hieß es, ja, das passt, Pollina müsse sowieso auf dem Weg nach Wien irgendwo Station machen.

Und nun steht er auf der Bühne, der 55-jährige Liedermacher, der leicht für 35 durchgehen könnte und mit seinen halblangen braunen Haaren an einen Troubadour des Mittelalters erinnert. Pollina liebt den direkten Draht zum Publikum, deshalb erzählt er anfangs in einer sprachlichen Melange aus Schweizerdeutsch mit italienischem Akzent vor jedem Lied ein bisserl was aus seinem Leben; dass er etwa den französischen Chansonnier Georges Moustaki sehr bewunderte und bei ihm in Paris eingeladen war, oder dass er sich auf einer seiner ersten Tourneen so auf das Meer in Deutschland gefreut hatte, aber in Wilhelmshaven die Suche nach einem schönen Strandcafé wie daheim in Palermo nicht von Erfolg gekrönt war.

Bald braucht's das nicht mehr, Pollina kann sich ganz darauf verlassen, seine Musik für sich sprechen zu lassen. Er kommt ohne Getue und große Gesten aus, aber der Mann sitzt nicht einfach nur vor seinem E-Piano und singt dazu, sondern er spielt ganz meisterhaft auf der Klaviatur der Gefühle. Weil es ihm so ernst damit ist, gleitet er nicht ins Kitschige ab. Dem Publikum geht schnell das Herz auf. Diese Kraft und diese Stimme! Mal Weltschmerz, mal mediterrane Lebensfreude. Alles klingt so bedeutungsvoll, dabei wissen die meisten gar nicht, wovon er singt. Denn die Texte sind italienisch und diese Sprache verstehen nur sieben der Zuhörer, das hat Pollina nämlich anfangs neugierig abgefragt und so auch erfahren, dass nur gut die Hälfte vorher schon mal in einem Konzert von ihm war - viele sicherten sich anscheinend die Karten, weil so ein bekannter Musiker quasi vor der Haustür spielt. Ob er also die verlorene Liebe besingt, die Kindheit oder das Waldsterben, lässt sich aus den einzelnen Wortfetzen, die man so aufschnappt, wie "amore" oder "sempre il silenzio", immer die Stille, nicht deuten. Auch weil er nur vereinzelt die Titel ankündigt. Das hat aber auch etwas für sich. So kann jeder die grande emozione, das große Gefühl, auf sich wirken lassen und frei entscheiden, was es für ihn bedeutet.

Eigentlich ist Pippo Pollina als Liedermacher mit Botschaft bekannt. Er wuchs in Palermo auf, studierte Jura und wollte sich als politischer Journalist gegen die in Sizilien übermächtige Mafia engagieren. Das Schlüsselerlebnis in seinem Leben war der Mord an seinem Chefredakteur. Er machte einen Schnitt und brach 1985 als Straßenmusiker zu einer Reise durch Europa auf. Seit mehr als 30 Jahren steht der Musiker, der in Zürich lebt, jetzt auf der Bühne. Eine Botschaft hat er an diesem Abend auch. Der deutsche Text der "Granatapfel-Ballade" wird auf Video eingeblendet, das Publikum soll die Gesellschaftskritik verstehen. Filmausschnitte von Muhammad Ali sind zu sehen. Der Sänger bewundert den legendären Boxer und Bürgerrechtler, der für seine Kriegsdienstverweigerung Gefängnis riskierte und damit finanzielle Einbußen. Ob ein Fußballer wie Ronaldo das wohl auch täte, bezweifelt Pollina.

14 Lieder singt er, unterstützt von seiner großartigen Band, allen voran Michele Ascolese (Gitarre) und Roberto Petroli (Klarinette, Saxofon). Von Mal zu Mal werden der Jubel und der Applaus größer, zum Schluss hält es niemanden mehr auf den Sitzen. Kurz stirbt die Hoffnung auf eine Zugabe, als statt Pollina Rosi Rieker auf der Bühne erscheint und die nächsten Veranstaltungen der Reihe "Musikalisches Bad Heilbrunn" ankündigt, doch als sie den Musikern Marmelade als Gastgeschenk verspricht, weiß jeder: Er kommt noch mal. Drei Lieder noch, dann ist dieser wunderbare Abend mit einem tollen Pippo Pollina leider wirklich vorbei.

© SZ vom 25.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: