Ausstellung und Theater im Landratsamt Bad Tölz:Sorum und Anders tun sich zusammen

Lesezeit: 2 min

Zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung führt die Komische Gesellschaft mit einem Theaterstück vor, wie Inklusion gelebt werden kann

Von Arnold Zimprich, Bad Tölz

Es ist dunkel vor dem Tölzer Landratsamt, nur wenige Menschen steuern auf den Eingang zu. Man würde sich am 26. Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung mehr Interesse wünschen. Im hell erleuchteten Foyer, inmitten der Fotoausstellung zum Thema, sitzt der Behindertenbeauftragte des Landkreises, Ralph Seifert. Er macht seinem Unmut Luft. "Das Thema Teilhabe ist in aller Munde", sagt der Rollstuhlfahrer, "ich sehe aber auf dem ersten Arbeitsmarkt nur wenig Fortschritte." Zu viele Menschen mit Behinderung arbeiteten in gesonderten Werkstätten, obwohl sie in der Lage wären, einem regulären Job zusammen nachzugehen. Große Firmen wie SAP seien schon einen Schritt weiter, dort würden sogar gezielt Menschen mit Behinderung gesucht.

Auch werde das Thema Barrierefreiheit oftmals nicht zu Ende gedacht. "Es geht hierbei nicht nur um Behinderte", sagt Seifert. Der demografische Wandel werde dazu führen, dass immer mehr Menschen auf barrierefreies Wohnen und Barrierefreiheit im Alltag angewiesen sind. "Das fällt uns auf die Füße", prophezeit der Fachmann. Den Landkreis sieht Seifert indes schon auf einem guten Weg, so sei die Bahnanbindung im Südlandkreis auch für Menschen mit Behinderungen gut nutzbar. Im Bereich der Bayerischen Oberlandbahn (BOB) und im Nordlandkreis sieht er allerdings noch Nachholbedarf.

Die Künstlerin Kassandra Ruhm, körperbehindert und homosexuell, erklärt, sie kenne "Ausgrenzung auf verschiedenen Ebenen". Als Psychologin ist sie an der Beratungsstelle einer Universität tätig. Ruhm stellt im Landratsamt bis Ende Dezember unter dem Motto "Bunter ist schöner" Poster aus, die sich mit dem Thema Ausgrenzung beschäftigen. "Ans Blindsein bin ich gewöhnt. Aber keinen Kaffee mehr bekommen: Verdammt!", lautet die Aufschrift auf einem Poster, das eine blinde Frau dabei zeigt, wie sie versucht, eine moderne Kaffeemaschine mit Touchscreen zu bedienen. Ein anderes Bild mit einem eindrucksvollen Pfau ziert die Aufschrift: "Ein Vogel, der nicht wie die anderen fliegen kann, ist so ein trauriger Anblick." Ruhms Bilder provozieren, sie bewegen und rütteln wach - so wie das Theaterstück "Sorum und Anders", das der Arbeitskreis für Menschen mit Behinderung (AfmB) zusammen mit der Komischen Gesellschaft darbietet. Die beiden Figuren Sorum und Anders sind grundverschieden. Der eine mag Eis, der andere lieber Gurken. Trotzdem sind die zwei glücklich mit ihrem Anders-Sein. Dies war jedoch nicht immer so, erläutert Regisseurin und Erzählerin Ulla Haehn, denn Sorum, Anders und ihre jeweiligen Freunde lagen einst wegen ihrer Verschiedenheiten im Streit. "Plötzlich wurde es ernst", sagt Haehn, während die Darsteller eine Mauer aufbauen. Die beiden Gruppen wollen nichts mehr voneinander wissen. "Jetzt sind wir sie endlich los", sagen die einen, doch bald haben Sorum, Anders und ihre Anhänger Zweifel. "Mich macht das ganz schön traurig", sagt einer; "das ist noch einsamer als vorher" der andere. Die beiden Gruppen machen sich daran, die Mauer einzureißen, ertragen jedoch den Anblick der anderen nicht. Man maskiert sich schließlich und erschrickt: "Alle sehen gleich aus!" Die Masken wirken einschüchternd.

"Wir wollen wieder wir selbst sein", schallt es bald durch den Sitzungssaal des Landratsamts, der an diesem Abend als Theaterbühne dient. "Wir haben doch früher so viel miteinander gemacht! Wir sind doch gleich viel wert!" Schließlich verbrüdern sich alle.

Haehn schafft es an diesem Abend zusammen mit ihren Darstellern, eine symbolische Hürde einzureißen und ein starkes Ausrufezeichen für Inklusion und Teilhabe zu setzen. Es ist eben völlig normal, verschieden zu sein und es wird vieles möglich, wenn man nicht gegeneinander, sondern miteinander lebt.

Bleibt zu hoffen, dass der starke Appell, der von diesem Abend ausgegangen ist, nicht verhallt und der Staat, wie es Inklusionsbotschafter Markus Ertl aus Lenggries fordert, die gesetzlich verankerte Gleichstellung von Menschen mit Behinderung auch umsetzt.

© SZ vom 06.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: