Ausstellung in Bad Tölz:Wuchtige Traumbilder mit Horizont

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Unter dem Titel "Sehstücke" zeigt Wolfram Weiße 40 großformatige Gemälde im Tölzer Kunstsalon. Der Geretsrieder Maler schafft vieldeutige Atmosphären und lässt so Raum für Interpretationen

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Wer zurzeit die beiden kleinen Räume des Kunstsalons besucht, taucht in eine faszinierende Welt aus Farben und Formen ein: Felsen, die wie löchrige Schwämme wirken, Kreise und Pfeile, Ebenen, die sich verschränken. Und immer wieder eine akkurat gezogenen Horizontlinie, auf der ein Schiff fährt. Sie markiert eine Grenze und strukturiert diese traumartigen Welten. Farbstark und intensiv wirken sie auf den Betrachter ein, aber dennoch nie chaotisch. Denn die Linien, Kreise und Flächen fügen sich zu vieldeutigen Kompositionen, die den Betrachter zu einer Interpretation herausfordern. Jedes dieser 40 Bilder, die der Geretsrieder Künstler Wolfram Weiße zurzeit im Kunstsalon unter dem Titel "Sehstücke" ausstellt, braucht Raum - eigentlich mehr Raum, als im Kunstsalon zur Verfügung steht.

Vor allem bei den großformatigen Bildern, wie dem in kräftigem Rot gehaltenen "Zwischenfall", erkennt man viele Details erst mit Abstand. Dann beginnt das Bild eine Geschichte zu erzählen: die brennende Fabrik, das gelbe Tor, durch das drei abstrakte Figuren drängen, ein Vogelkäfig. Es könnte ein Flüchtlingsbild sein oder der Supergau in einem Atomkraftwerk - die Deutung ist abhängig von individuellen oder kollektiven Erfahrungen und Ängsten. Beliebig ist sie freilich nicht, denn die Botschaft und Atmosphäre müsse vom Bild ausgehen. "Wenn man nicht sehen kann, was ich gemeint habe, dann ist das Bild schlecht", sagt Weiße. Der gebürtige Dresdner hat an der Münchner Kunstakademie studiert und war 30 Jahre lang Lehrer am Geretsrieder Gymnasium. Mit seinen Schülern hat er preisgekrönte Filme produziert und ist für seine kunstpädagogische Arbeit mit dem Tassilopreis der Süddeutschen Zeitung ausgezeichnet worden. Im Jahr 2007 bekam er den Kulturpreis der Stadt Geretsried.

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(Foto: Manfred Neubauer)

Flüchtlingsbild? Supergau? Das großformatige Werk "Zwischenfall" des Malers Wolfram Weiße lässt mit seinen vielen Details Raum für eigene Gedanken.

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(Foto: Manfred Neubauer)

"Einschub" hat mindestens genauso viele Details, wirkt aber nicht ganz so bunt.

Nach seiner Pensionierung hat Weiße sich wieder der Malerei zugewandt, "zurück zu den Wurzeln", wie er sagt. Er malt ausschließlich in Acryl, "weil das Haus dann nicht nach Terpentin stinkt, und die Farben atemberaubend schnell trocknen." Jedem Bild gibt er einen Titel, das ist ihm wichtig. "Titel sind Brücken, die der Betrachter nutzen kann." Lange sitzt er mit seiner Frau Heidi, "meiner liebe Muse", vor dem fertigen Bild, überlegt und diskutiert. "Aeolus", nach dem griechischen Gott der Winde, haben sie etwa das neueste Werk benannt, das Weiße erst vor ein paar Tagen fertiggestellt hat: Helle Spiralen flattern wie Schleier, ein Wirbel trägt das Auge des Sturms, gebremst von grafischen Elementen. Bewegung versus Statik, auch hier markiert der Horizont eine Grenze. Allzu psychologisierend will Weiße seine Bilder nicht verstanden wissen. In ihrer Vieldeutigkeit entsprechen sie Träumen und greifen wie diese auf einen archetypischen Formenkanon zurück. Aber die roten Vorhänge im Bild "Traumstunde" zum Beispiel, die habe er gemalt, weil er mit seinen Enkeln zuvor ein Kasperltheater mit ebensolchen Vorhängen gebaut habe, erzählt er.

Seine Bilder entwickeln sich aus einem farbigen Untergrund, den Weiße aufspritzt oder stempelt. Struktur erhält er durch Knitterpapier, Lappen oder Pappen. Dann importiert er Formen, verbindet oder verschiebt sie und beobachtet die sich ergebenden Metamorphosen. "Manche Bilder marschieren einfach durch", sagt er. Wie "Gebrochener Horizont", bei dem Weiße den Horizont kippt, und die Schiffe wie kleine schwarze Käfer an der verschobenen Linie nach oben kriechen. Räume entstehen, Fenster öffnen sich, Linien geben Ordnung. Nichts ist verschwommen, nichts bleibt im Ungefähren.

Wolfram Weiße zeigt 40 seiner Bilder in Tölz. (Foto: Manfred Neubauer)

Die Elemente dieser Bildwelten sind streng durchkomponiert. Kunst sei eine "ästhetische Arbeit", sagt Weiße. Sie dürfe sich aber nicht auf bloßen Formalismus beschränken, sonst sei sie nichts als Dekoration. "Form und Gehalt müssen ineinandergreifen." So wie bei "Einschub", einem für Weiße programmatischen Bild: Ein roter Pfeil schiebt amorphe Formen auf ein Bild. In einer Schublade, "Symbol für das Unbewusste", ist ein Fundus "maritimer Sachen" wie Schnecken und Fischen aufbewahrt. So entstünden seine Bilder, sagt der Künstler: "Durch Zeug reinschieben."

Kunstsalon, Marktstraße 6. Öffnungszeiten bis 19. März: Freitag, Samstag, Sonntag 14 bis 18 Uhr

© SZ vom 06.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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