Aus dem Amtsgericht:Verbotene Liebe

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Ein 18-Jähriger und eine Zwölfjährige haben Sex. Sie sagen: aus tiefer Zuneigung. Die Eltern des Mädchens zeigen den Freund an

Von Pia Ratzesberger, Bad Tölz-Wolfratshausen

Die Liebe sei seinem Mandanten in diesem Augenblick eben wichtiger gewesen als das Strafgesetzbuch, sagt der Verteidiger schließlich. Neben ihm, den Kopf gesenkt, die Hände gefaltet, sitzt der 19-jährige Angeklagte, dem die Staatsanwaltschaft an diesem Dienstag im Amtsgericht Wolfratshausen schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in mehreren Fällen vorwirft - denn der Junge hatte vor mehr als einem Jahr, damals noch 18 Jahre alt, Geschlechtsverkehr mit einem damals zwölfjährigen Mädchen aus dem Landkreis.

Sexuelle Handlungen mit einer Person unter 14 Jahren sind in Deutschland grundsätzlich verboten. Der Richter muss an diesem Dienstag also entscheiden, wie eine Tat zu ahnden ist, die nach dem Gesetz ein schwerer Missbrauch ist - nach Auffassung beider Beteiligter aber allein Ausdruck ihrer Gefühle.

"Hals über Kopf verliebt" seien sie gewesen, sagt der Angeklagte, kennengelernt hätten sie sich über einen Chat im Internet. Das Mädchen bestätigt das in ihrer Anhörung, die im Gerichtssaal per Video gezeigt wird. Auch sie habe das alles gewollt. Die damals Zwölfjährige wirkt älter, erzählt von den Ereignissen frei, nahezu ohne Scham. Die Eltern des Mädchens hatten die Sache zur Anzeige gebracht, sie waren einige Wochen davor sogar schon einmal bei der Polizei gewesen, als das mit den Nacktfotos rauskam: Da der Junge in einem anderen Bundesland wohnte, tauschten die beiden sich nach ihrem Kennenlernen im Internet allein über Nachrichten und das Telefon aus, sendeten sich irgendwann Nacktbilder zu - das Mädchen sagt im Video: "Ich glaube, ich habe das erste Foto geschickt." Für beide sei das nichts Neues gewesen, man habe auch schon vorher solche Bilder an andere Bekannte versandt. Anfangs hatte sie den jungen Mann noch glauben lassen, sie sei 14 Jahre alt. Für das Strafrecht ein entscheidendes Alter, da man dann nicht mehr als Kind, sondern als Jugendlicher gilt. Aber als das Mädchen nach einigen Wochen schließlich ihr wahres Alter offenbarte, sei es dem Angeklagten zufolge schon zu spät gewesen: "Da war das schon mit der Liebe und so." Und sie hätte sich auf ein Treffen schließlich auch "übelst gefreut".

Nach einigen Wochen gaben der 18-Jährige und die Zwölfährige in sozialen Netzwerken an, sie seien jetzt offiziell in einer Beziehung - gesehen hatten sie sich bis dahin zwar noch nie, am Telefon allerdings schon geklärt, was passieren könnte bei solch einem Treffen. Weil klar war, dass die Mutter den Besuch des Jungen nicht erlauben würde, stellte sich die Tochter krank, blieb mehrere Tage zu Hause. Sobald die Mutter auf dem Weg zur Arbeit war, kam der 18-Jährige vorbei; er hatte sich für die Reise nach Bayern eigens Urlaub genommen. In den darauffolgenden Tagen kam es zum Geschlechtsverkehr oder zumindest zu entsprechenden Versuchen.

Letztendlich erfuhren die Eltern von dem Besuch - als der Junge einige Wochen später ein zweites Mal nach Bayern reiste, "hat ihn die Polizei schon abgegriffen, als er gerade auf dem Weg zu mir war", sagt das Mädchen auf dem Video im Gerichtssaal. Und ein wenig später: "Mir geht es jetzt schon scheiße, weil ich ihn immer noch liebe." Aufgezeichnet wurde das Gespräch mit dem Jugendrichter vor Monaten, die Eltern hatten den Kontakt zu dem 18-Jährigen damals weiterhin verboten. Die Mutter kontrollierte das Handy, drohte nach Aussagen des Mädchens damit, dass der Kerl jetzt wegen ihr in den Knast gehe.

Heute höre man nichts mehr voneinander, sagte der Angeklagte im Gerichtssaal. Er und das Zwölfjährige Mädchen hätten damals zwar von Anfang an gewusst, dass strafbar sei, was sie planten. Aber die Liebe sei so groß gewesen, "dass er bereit war, das Risiko für mich einzugehen", sagt die damals Zwölfährige auf dem Bildschirm.

Von Seiten der Jugendgerichtshilfe hält man dem Angeklagten zugute, dass er von Beginn an einsichtig, ihm die ganze Sache unangenehm war. Weil es ihm schwer falle, Kontakt zu Gleichaltrigen aufzubauen, könne man von Reifeverzögerung sprechen, außerdem sei er noch in Ausbildung. Die Jugendgerichtshilfe schlägt deshalb eine Geldstrafe zahlbar in monatlichen Raten statt einer Gefängnisstrafe vor, die Staatsanwaltschaft und auch die Verteidigung schließen sich dem an.

Des schweren sexuellen Missbrauchs in mehreren Fällen spricht der Richter Urs Wäckerlin den 19-Jährigen an diesem Dienstag schließlich schuldig, denn entsprechende Handlungen habe es gegeben. Bei der Geldstrafe aber bleibt er mit 500 Euro à monatlich 50 Euro unter der von der Staatsanwaltschaft geforderten Summe von insgesamt 1000 Euro, da der junge Mann auch noch die gesamten Verfahrenskosten zu tragen habe, aber über nur wenig Einkommen verfüge. Dem Richter nach sei es glaubhaft, dass zwischen dem damals 18-Jährigen und der Zwölfjährigen eine Liebesbeziehung, intensive Gefühle bestanden hätten. Einen One-Night-Stand hätte sich der Junge dem Richter zufolge schließlich auch in seiner Region suchen können, das wäre einfacher gewesen - und nicht so risikoreich.

© SZ vom 20.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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