Ateliertage Berg/Icking:Wo die Erinnerung endet

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23 Künstler setzen sich mit dem Thema "Vergessenes" auseinander. Die Arbeiten sind so vielfältig wie die Assoziationen, die sie auslösen.

Von Susanne Hauck, Icking/Wolfratshausen

Treibgut im Meer des Vergessens: Nausikaa Hacker hat eine Plastikschlappe an der kroatischen Küste aufgelesen und sie zum Mittelpunkt einer rotierenden Installation gemacht. (Foto: Hartmut Pöstges)

Ein schmiedeeisernes verwittertes Grabkreuz lehnt an der Hausmauer. Gerdi Herz hat es als Alteisen bei einem Schmied entdeckt. Dass es offensichtlich nicht mehr gebraucht wurde, hat die Irschenhauser Künstlerin zum diesjährigen Motto "Vergessenes" der Ateliertage Berg/Icking inspiriert. Gerdi Herz ist nachdenklich, sie hat den Verlust ihrer Freundin Hannelore Jüterbock noch nicht verwunden. Die unverwechselbare und streitbare Malerin aus Berg, die mit ihren kühnen Bildern im Großformat beeindruckte, starb im Juni überraschend auf einer Reise nach Korsika und fand in Südfrankreich ihre letzte Ruhestätte. Ihr Tod hat im künstlerischen Umkreis niemanden unberührt gelassen. Zu den Ateliertagen öffnet Jüterbocks Tochter noch einmal ihr Studio in Allmannshausen - es ist vielleicht die letzte Gelegenheit, das Atelier zu besuchen.

"Vergessenes" ist ein Thema, mit dem die beeindruckend vielseitig arbeitende Gerdi Herz eine Menge anfangen kann. Was andere aussortiert haben, ist für die zierliche Künstlerin mit den grauen Löckchen und den hellwachen Augen die Herausforderung, etwas Neues zu erschaffen. Mit Leidenschaft geht sie auf den Schrottplatz und sammelt sich dort das Metall für ihre Skulpturen zusammen, die ein Schmied für sie nach ihren Vorgaben schweißt. Was unbeachtet im Wald, am Weg, am Ufer liegt, hebt sie auf: ungewöhnliche Blätter oder Äste, die aussehen wie Tiere, ein Fischskelett, Muscheln. Die Sachen arrangiert sie in aussortierten Wabenrahmen von Bienen, die sonst nur verbrannt würden, aber so eine neue Funktion erhalten.

Gerdi Herz verhilft Fundstücken in alten Bienenrahmen zu neuer Würde. (Foto: Hartmut Pöstges)

An einer Wand hängen "Lebenskästen"

"Lebenskästen" hängen an einer anderen Wand - mit Figuren und Objekten nachgestellte Stationen aus ihrem Leben. Herz, die stets zusammen mit der Malerin Sissi Edler aus Aufkirchen ausstellt, empfängt ihre Besucher mit selbstgebackenem Kirschkuchen auf der Terrasse. Von dort aus hat man einen herrlichen Blick auf ihren "Zaubergarten" mit verwunschenem Seerosenteich. Überall stehen, sitzen, liegen von ihr geschaffene Tiere aus Eisen und glasiertem Ton: Flamingos, Krokodile, Muscheln, Käfer. Herz meistert viele Material-Spielarten, aber eines fällt ihr schwer: "Ich trenne mich von meinen Sachen nur ungern, denn es steckt so viel Arbeit darin." Das Verkaufen muss daher ihre Tochter übernehmen.

Herz ist Gründungsmitglied der Ateliertage, die heuer zum 32. Mal stattfinden. Dagegen beteiligen sich die Wolfratshauser Ulrich Panick und Nausikaa Hacker zum ersten Mal an der lange Zeit vornehmlich auf Berg, Icking und Schäftlarn konzentrierten Veranstaltung. Die ehemalige "Schule der Phantasie" am Obermarkt ist seit einem Jahr ihre Kreativ-Werkstatt. "Flotsam and Jetsam", die englische Bezeichnung für "Treibgut", hat Hacker eine Installation betitelt: Auf einer Tischplatte rotiert eine ausgebleichte Plastikbadeschlappe, zieht chaotische Kreise. Flankiert wird sie von wie Kiesel wirkenden Styroporstücken. Die Bewegung entsteht zufällig, dafür sorgen unterhalb der Platte montierte Vibrationsmotoren.

Welche Reise hat der Schuh hinter sich, der offensichtlich einem Kind gehört hat? Das fragt sich nicht nur Nausikaa Hacker, die als Kunsterzieherin an einem Münchner Gymnasium unterrichtet. Der Schuh wurde an einem Strand in Kroatien angeschwemmt, sie hat ihn aufgehoben. Ein Wegwerfartikel - aber nicht für seinen Besitzer, der sich die Mühe gemacht hat, den großen Riss am Steg sorgsam zusammenzuflicken. Das Treibgut setzt Gedankenspiele in Gang: Gehörte die Schlappe am Ende einem syrischen Flüchtlingskind? Über "tolle Gespräche" freut sich Hacker, die am ersten Ausstellungswochenende ein "aufmerksames und interessiertes Publikum" kennengelernt hat.

Treibgut im Meer des Vergessens: Nausikaa Hacker hat eine Plastikschlappe an der kroatischen Küste aufgelesen und sie zum Mittelpunkt einer rotierenden Installation gemacht. (Foto: Hartmut Pöstges)

Ein Kopfmensch ist der Bildhauer Ulrich Panick, der seit einem Jahr eine offene Werkstatt in den Räumen betreibt und Mitte Oktober zusammen mit dem Verein "Bürger für Bürger" dort ein Repair-Café eröffnen will. Über die Durchdringung von Kunst und Handwerk macht er sich viele Gedanken; dass ein Bild von Samuel Beckett neben Holzbrettern und Drechselbank hängt, ist nur scheinbar ein Zufall. Panick hinterfragt das Thema "Vergessenes" auf philosophische Weise.

Was könnte flüchtiger sein als ein Zeitungsbild, das morgen schon von gestern ist? Fotos aus längst vergangenen Tagen wertet Panick auf, indem er sie sorgfältig auf Pappschachteln aufzieht und erneut präsentiert; in eigens konstruierten Schubern werden sie archiviert. Eine ganz eigene Art, die Bilder der Vergessenheit zu entreißen.

23 Künstler öffnen auch am kommenden Wochenende noch einmal ihre Ateliers von 12 bis 18 Uhr; Infos unter www.atelier-tage.de

© SZ vom 25.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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