Anti-AfD-Demonstration:Geretsried ist bunt

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Der Protest ist vielfältig und kreativ: 1100 Menschen demonstrieren gegen die Rechtspopulisten - und für Flüchtlinge. Die Partei mobilisiert in der Stadt der Vertriebenen nur 150 Anhänger

Von Thekla Krausseneck, Geretsried

Hunderte Schilder schweben über den Köpfen, handgenäht und bunt beschriftet. "Nazis essen heimlich Döner" heißt es auf dem einen. "Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtlinge" auf einem anderen. Ein Schild in Rosa verkündet: "AfD-Wählen ist ja so was von 1933". Vom Balkon einer Anwohnerin des Neuen Platzes weht das Banner: "Hebt die Köpfe, nicht die Hände!" Was die Schilder allein nicht ausdrücken, das rufen die Gegner der AfD über die Absperrung hinweg. "Euer Stammbaum sieht aus wie ein Kreis", schallt ein Sprechchor über den Platz. Und allgegenwärtig: "Nazis raus."

Rund 150 AfD-Anhänger treffen in Geretsried auf eine überwältigende Menge von rund 1100 Gegendemonstranten, so schätzt die Polizei die Beteiligung. Die Beamten trennen die umzäunten Lager, in denen die Stimmung unterschiedlicher kaum sein könnte. Auf der einen Seite skandieren Anhänger der AfD mit einheitlich blauen Schildern und grimmigen Gesichtern "Merkel muss weg". Auf der anderen Seite wird gefeiert: Der Sirenenchor singt "Sag mir wo die Blumen sind" und im Durcheinander der Schilder lässt sich immer wieder etwas Kreatives oder Witziges entdecken ("Angst macht blöd" oder "Ich bin so wütend, ich mal schon Plakate"). Viele Bürger sind dem Aufruf des Sprechers der Friedensinitiative, Andreas Wagner, gefolgt und tragen ein gelbes Schild mit der Aufschrift "Geretsried ist bunt" mit sich.

Die Freie-Wähler-Stadträtin Vera Kraus hat aus alten Bettlaken ein 80 Meter langes Banner genäht. "Wir sind das Oberland", ist darauf in großen, bunten Buchstaben zu lesen, "wer Hilfe braucht, ist bei uns willkommen." Wie seltsam es anmutet, dass die AfD ausgerechnet in dem von Vertriebenen aufgebauten Geretsried gegen Flüchtlinge demonstriert, ist am Samstag immer wieder zu hören. Robert Lug, Initiator der Gegendemo und ebenfalls Stadtrat der Freien Wähler, nennt es einen "Treppenwitz der Geschichte". Bürgermeister Michael Müller (CSU) sagt: "Wer denkt, dass Geretsried der richtige Ort für die Themen der AfD ist, der zeigt, dass er nicht denkt." Geretsried sei eine weltoffene Stadt, "und da lassen wir uns auch keine braune Soße drübergießen".

Eine Bühne gibt es für die Gegendemonstranten nicht, man hilft sich anders: Als die AfD gegen 16 Uhr ihre Demo beendet, hievt Lug einen Lautsprecher in einen Baum. Unter denen, die ans Mikrofon treten, ist Elisabeth Sowa vom Helferkreis. In Geretsried sei noch nie eine Frau von Flüchtlingen belästigt worden, sagt sie. "Die Männer sind froh, dass sie hier aufgenommen worden sind." Der FW-Landtagsabgeordnete Florian Streibl ruft den ersten Artikel des Grundgesetzes ins Gedächtnis: "Die Würde des Menschen ist unantastbar - Punkt! Kein Wenn und Aber." Gedankengut wie das der AfD "hat uns schon einmal ins Unglück gestürzt".

Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Barthel mahnt zur Wachsamkeit: "Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf." Anders als die AfD versuche man das Thema Flüchtlinge nicht mit Hass und Ausgrenzung zu lösen. Dass es noch genügend hausgemachte Probleme gebe, daran erinnert Nicoline Pfeiffer vom Verein "Frauen helfen Frauen". Anstatt sich über andere Kulturen aufzuregen, sei es wichtiger, Frauenrechte zu stärken - und zum Beispiel das Strafrecht zu verschärfen. Denn gegen die meisten der Übergriffe von Köln gebe es bislang keine juristische Handhabe.

Gegen 17 Uhr ist die AfD fort und die Bürger greifen zu den Besen, um den Platz symbolisch zu reinigen - auch von zwei rohen Eiern, die womöglich Anwohner in die AfD-Demo geworfen haben. Begleitet wird die gut gelaunte Putzkolonne von dem Musiker Willi Sommerwerk.

© SZ vom 14.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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