Witwe von Johannes Heesters:Das Leben nach Jopie

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"Wir haben immer so gelebt, als hätten wir noch 30 Jahre Zeit": Johannes Heesters war Simone Rethels ganz große Liebe. Auch nach seinem Tod spielt er noch eine bedeutende Rolle in ihrem Leben. Nun will die 62-jährige Schauspielerin zurück auf die Bühne.

Astrid Becker

Einen Teil der Danksagungen hat sie bereits verschickt. Sie zeigen Johannes Heesters, ihren Mann, der an Heiligabend gestorben ist. Simone Rethel hat das Bild selbst aufgenommen, im vergangenen Sommer, im heimischen Wohnzimmer in Söcking, direkt vor der Kommode. Das Sonnenlicht bestrahlt ihn von der Seite und verleiht dem Foto eine ganz besondere Ausstrahlung. Und wer imstande ist, in alten Gesichtern die Schönheit des Lebens zu entdecken, wird sie in diesem Bild finden. "Nicht aufgeben" ist darauf gedruckt, Johannes Heesters Lebensmotto - und auch das ihre. Wenn man so will, könnte man es jedoch auch als letzten Auftrag verstehen, den Heesters seiner Frau hinterlassen hat.

Poppi und Puppe: Jopie Heesters spielte eine große Rolle in Simone Rethels Leben - er spielt es immer noch. (Foto: Johannes Simon)

20 Jahre waren die beiden verheiratet. "Die große Liebe", sagt Rethel, und ihre Augen füllen sich mit Tränen. Dann reißt sie sich wieder zusammen und schenkt sich einen Kaffee nach. Nur ihre zitternde Hand verrät, was sie wohl fühlt, welche Traurigkeit.

Aber die zierliche, dunkelhaarige Frau ist kein Mensch, der aufgeben würde. "Wissen Sie, wir haben immer so gelebt, als hätten wir noch 30 Jahre Zeit", sagt sie. "Anders wäre es gar nicht gegangen." Immerhin lag zwischen ihr und ihrem Mann ein Altersunterschied von 46 Jahren. Als Simone Rethel ihren "Jopie" 1992 am Starnberger See heiratete, war sie 42, er 88. Viel böses Blut und viel Unverständnis hatte diese Verbindung ausgelöst. Sie wolle nur den Namen Heesters, hieß es, sie habe es nur auf Geld abgesehen - und so weiter.

Dabei war es Simone Rethel, die sich zunächst beim Thema Heiraten zierte - so sagt sie das zumindest. Erst als Heesters sein Vermögen an seine Kinder aus erster Ehe mit der belgischen Schauspielerin Louise Ghijs, Nicole Heesters und Wiesje Herold-Heesters, überschrieben hatte, willigte sie in die Hochzeit ein: eine Frau, die zu dieser Zeit selbst längst Karriere als Schauspielerin, Malerin und Fotografin gemacht hatte, also weder den Namen Heesters noch dessen Geld brauchte. "Da sind sehr viele, sehr schmerzhafte Dinge geschrieben und gesagt worden", sagt sie.

Es ist wohl nicht übertrieben, Johannes Heesters als großen Lebenstraum von Simone Rethel zu sehen. Während sich ihre Freundinnen als Teenager Poster der Beatles in ihre Zimmer hängten, schwärmte Simone Rethel nur für Johannes Heesters.

Rethel hatte selbst schon früh ein großes Talent für die Schauspielerei gezeigt. Nach einer Schulaufführung riet ihr eine Lehrerin, ihr Glück auf der Bühne zu suchen. Sie war gerade 15 Jahre alt, als sie der Regisseur Axel von Ambesser für die Hauptrolle in seinem Film "Die fromme Helene" engagierte und damit zu ihrem schauspielerischen Ziehvater wurde. Und in dieser Zeit fand auch eine erste, wenngleich indirekte Begegnung mit Johannes Heesters statt. Damals spielte er im Gärtnerplatztheater, und eines Nachts schlich sich Simone Rethel in die Kulissen: "Ich wollte einfach wissen, wie es sich anfühlt, auf so einer großen Bühne zu stehen, und ob das wirklich etwas für mich ist."

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Birgit Kruse

Die Bühne war etwas für die heute 62-Jährige, der die künstlerische Neigung ohnehin in die Wiege gelegt ist. Der Vater war Maler, Bühnenbildner und Innenarchitekt, die Mutter eine Fotografin, die viel für den Film gearbeitet hatte. Und auch bei ihren Vorfahren finden sich begabte Persönlichkeiten: der Historienmaler Alfred Rethel zum Beispiel oder der Miniaturmaler August Grahl.

Von ihren Eltern lernte sie etwas, das sie ihr Leben lang begleiten soll: nicht den Mund zu halten, nicht wegzusehen und sich nicht alles gefallen zu lassen. Mit ihren beiden längsten Freundinnen bildete sie eine Bande, die nach dem Motto agierte: "Jeden Tag eine schlechte Tat." Rotzfrech waren die drei, ließen sich von den Jungs nichts gefallen, sie wussten sich ihrer Haut zu wehren.

Simone Rethel, die alle nur Möndi nennen, wurde oft vorgeschickt: "Ich hatte keine Angst, irgendetwas in Frage zu stellen, also hieß es in der Schule immer, frag doch mal das oder das. Ich habe mir aber nur die klugen Fragen ausgesucht", erzählt sie und grinst. In den Schulzeugnissen sei dann immer der Vermerk aufgetaucht, sie zeichne sich durch besonders kluge Fragen aus.

Als aus den ersten persönlichen Begegnungen mit Johannes Heesters Liebe wurde, sah sie sich selbst mit vielen Fragen konfrontiert: "Was machst du, wenn du ihn pflegen musst? Er ist doch älter als deine eigenen Eltern?" Die Antwort darauf ist typisch für die so zerbrechlich wirkende Frau: "Dann pflege ich ihn eben!" Nach der Hochzeit stellte sie ihr Leben komplett auf das von Jopie Heesters ein. Die Angebote von Bühnen oder vom Fernsehen blieben nach und nach aus. "Es ging ja nicht mehr, ich hatte dafür gar keine Zeit."

Denn Simone Rethel hatte eine andere Hauptrolle übernommen. Bereits als sie Heesters kennenlernte, hatte sich dessen Augenlicht massiv verschlechtert. In den Folgejahren sollte er sogar komplett erblinden. Für seine Frau, die er "Poppi" nannte, bedeutete dies: ihm alles vorzulesen, seine Korrespondenz zu erledigen, mit ihm Texte einzustudieren, ihn zu Auftritten zu fahren, ihm dort sogar im Notfall als Souffleuse zur Verfügung zu stehen. Denn Heesters war ein Künstler, der auf die Bühne musste. Kaum hatte er einen Auftritt hinter sich und saß mit "Poppi" wieder im Auto, sprach er bereits von dem nächsten: "Viele dachten, ich würde ihn dazu treiben, doch so war es nie", sagt sie.

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Die Malerei und die Fotografie hat sie dennoch nie ganz aufgegeben - und widmete sich dabei unter anderem dem Thema Alter, wie in dem Bildband "Schönheit des Alters", den sie 1998 veröffentlicht, oder "Sag nie, du bist zu alt" aus dem Jahr 2010. Doch sie forschte auch in der Vergangenheit ihres Mannes, der sich seit 1976 gerade in seinem Heimatland Holland heftiger Kritik ausgesetzt sah. Ein niederländischer Journalist hatte ihm vorgeworfen, 1941 das KZ Dachau besichtigt und dort vor der SS aufgetreten zu sein. Heesters selbst hatte einen Besuch in dem Konzentrationslager nie bestritten, einen Auftritt dort jedoch vehement dementiert. Rethel wollte es genau wissen - und begann eigene Recherchen anzustellen.

Und auch daraus wurde 2006 ein Buch: "Johannes Heesters. Ein Mensch und ein Jahrhundert." Darin erzählt sie von den wichtigsten Stationen im Leben ihres Mannes jeweils vor dem zu diesem Zeitpunkt aktuellen und politischen Geschehen - und sie legt darin Fotografien vor, die aus ihrer Sicht "ganz eindeutig belegen, dass Jopie in Dachau nicht aufgetreten ist".

Sie stammen aus einem Fotoalbum, das sie eines Tages im Keller eines Bekannten entdeckte. Die Bilder zeigen Heesters im KZ in Straßengewand, seine Kollegen vom Gärtnerplatzensemble hingegen in Bühnenkostümen. Auf keinem der Fotos sieht man Heesters singend oder spielend. Zudem findet sie die Besetzungsliste im Gärtnerplatz-Theater für diesen Abend: in der Hauptrolle Johannes Heesters.

Sie kämpfte weiter für die Rehabilitation ihres Mannes, und trotzdem blieb das Verhältnis zwischen dem Künstler und seiner Heimat gespannt. Erst 2008 durfte er dort wieder auftreten, und als er im vergangenen Jahr eine Einladung zu einem Bankett mit der niederländischen Königin Beatrix von Bundespräsident Christian Wulff erhielt, war er überglücklich - und Simone Rethel auch.

Doch das Ehepaar wurde wieder ausgeladen - und Rethel wusste nicht, wie sie das ihrem Mann beibringen soll: "Er hat jeden Tag nur mehr davon gesprochen, die ganze Familie und ich hatten wirklich Angst um sein Leben, wenn ich ihm davon erzähle." Die lapidare Begründung lautete, es seien mehr Zusagen eingegangen als erwartet. "Da erklärt man dem Bundespräsidenten, dass man Angst um das Leben des eigenen Mannes hat, und er hält es nicht für nötig, darauf zu reagieren."

Als der Termin näher rückte, fasste sie sich ein Herz und erzählte ihrem Mann die ganze Geschichte. Heesters lachte. "Aber später habe ich schon gespürt, wie getroffen er war." Mit dem Bundespräsidenten ist sie jedenfalls fertig: Wulffs Verhalten sei eines Präsidenten unwürdig.

Das alles ist Geschichte. Und Simone Rethel blickt jetzt nach vorne, auf ihr weiteres Leben. Spricht von einer Stiftung für junge Nachwuchskünstler, die die Familie eventuell ins Leben rufen will. Davon, dass sie gern in dem Haus in Söcking bleiben will, obwohl es seit vielen Jahren an Heesters Erben überschrieben ist: "Hier habe ich das Gefühl, er ist noch immer bei mir."

Von ihren beiden Ausstellungen "Farben-Prächtig Formen - Engagiert" in den Museen Schloss Voigtsberg von 20. Mai an und im Fachwerkhaus Kump im sauerländischen Hallenberg von 7. September an. Sie redet davon, wieder Theater spielen zu wollen. Mit einigen Intendanten stehe sie bereits in Kontakt, sagt sie.

Und während sie über diese Pläne spricht, erfasst den Zuhörer das Gefühl, von dieser Frau noch einiges zu hören. Und das ist es wohl auch, was ihr Mann von ihr erwarten würde: eben nicht aufzugeben.

© SZ vom 17.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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