Wissenschaft:"Das Leben ist keine Konstante"

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Bernhard Leipold erforscht an der Universität der Bundeswehr München über Stress und das Loslassenkönnen

Interview Von Daniela Bode

München/Neubiberg - Arbeitnehmer fallen wegen psychischer Belastungen immer länger aus, besagt der aktuelle DAK-Gesundheitsreport. Wie man sich leichter an stressige Herausforderungen anpassen kann, darüber forscht Bernhard Leipold, Professor für Entwicklungs- und Gesundheitspsychologie, an der Universität der Bundeswehr München in Neubiberg. SZ: Was versteht man unter Stress? Bernhard Leipold: Stress ist eine Reaktion des Körpers auf Situationen, die ihn belasten. Es verändert sich zum Beispiel die Atmung, oder das Herz schlägt schneller. Das ist eine Art Alarmreaktion des Körpers. Auf der psychischen Ebene entsteht Stress, wenn wir ein Ereignis als Bedrohung, Verlust oder Schaden wahrnehmen. Warum sind manche Menschen seelisch widerstandsfähiger, resilienter? Das hat verschiedene Ursachen. Es gibt beispielsweise Studien zum Erblichkeitsrisiko, bei denen sich bei eineiigen Zwillingen bei Burn-out oder Depression größere Ähnlichkeiten bei den Symptomen finden als bei entfernten Verwandten. Biografische Ereignisse spielen auch eine Rolle. Hat man als Kind oder später schwierige Erfahrungen wie traumatische Erlebnisse schlecht verarbeitet, kann sich das ungünstig auf die aktuelle Bewältigung auswirken. Hat man schon viele Situationen erfolgreich gemeistert, sieht man bei Problemen oft stärker die Herausforderung als die Bedrohung und geht selbstbewusster an die Sache heran.

Kann man einen besseren Umgang mit Stress trainieren? Das tun wir eigentlich ständig. Zunächst ist es wichtig, das Problem kompetent und die eigenen Handlungskompetenzen realistisch einzuschätzen. Der Umgang mit einer chronischen Krankheit beispielsweise erfordert Fachwissen. Es ist ratsam, Experten heranzuziehen. Wichtig ist auch ein gut funktionierendes soziales Netz. Die Anzahl der Personen ist nicht relevant, sondern wie man sie in so einem Fall aktivieren kann.

Kann man sich etwa für die nächste Bewerbungsphase oder das ärgerliche Gespräch mit einem Kollegen wappnen? Wenn man Herausforderungen vor Augen hat wie das Bewerbungsgespräch, kann man sich vorbereiten. Beispielsweise vor dem Spiegel trainieren. Wenn man sich ein großes Repertoire an Strategien angeeignet hat, hat man einen großen Handlungsspielraum, aus dem man schöpfen kann. Es kann aber auch Unerwartetes passieren. Was dann? Es ist wichtig, sich flexibel auf Unerwartetes einzustellen. Es ist auch eine Frage des Loslassenkönnens. Beispielsweise wenn man älter wird, lässt die Reaktionsfähigkeit nach, der Körper macht nicht mehr bei allem mit. In neuen Dingen einen Sinn sehen, das kommt manchmal von außen. Auf Reisen, oder wenn man Neues erlebt. Man muss sich auch fragen, welche Kompetenzen man bündelt - man hat ja auch nicht unbegrenzt Zeit - und wo man Abstriche macht. Gerade wenn man älter wird, muss man viele Ziele den Umständen anpassen.

Gibt es ein Mittel gegen Stress, das immer hilft - ein Notfall-Set sozusagen? Ich glaube nicht, dass es ein Rezept gibt oder man einen Generalschlüssel kopieren kann. Helfen können aber ein gutes soziales Netz, Humor, ein gesunder Lebensstil, Optimismus, Entspannungsübungen. Das Leben ist keine Konstante, sondern ein ständiger Lern- und Anpassungsprozess. Die Herausforderung ist es zu wissen, wann es sich lohnt, seine Energien zu bündeln, oder wann man loslassen sollte.

© SZ vom 03.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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