Wie ausgewechselt:Freude am Wagnis

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Erst als Möbel-Unternehmer ist der ehemalige Torwart Bobby Dekeyser das geworden, was er als Fußballer nie war: ein Weltstar

Von Thomas Hahn

Viele Profi-Fußballer bleiben nach dem Ende der Karriere in der Branche: als Trainer, als Manager, als TV-Experten. Aber manche ergreifen Berufe, die gar nichts mehr mit dem Fußball zu tun haben, sie werden Schreiner, Ärzte oder Richter. Mit ihnen befasst sich die Serie "Wie ausgewechselt".

Am 29. September 2010 starb Ann-Kathrin Dekeyser an den Folgen einer Gehirnblutung im Alter von 44 Jahren. Fast 25 Jahre war Bobby Dekeyser mit ihr verheiratet. Ihr Tod kam damals so plötzlich, dass er und die drei Kinder ihn kaum begreifen konnten, und bis heute ist der Schmerz über die Tragödie nicht ganz verwunden. Bobby Dekeyser hat davon in seiner Biografie erzählt. "Trost gibt es nicht", schreibt er da mit trauriger Bestimmtheit. Der Ex-Fußballer, Erfolgsunternehmer und Berufsoptimist Bobby Dekeyser kennt mehr vom Leben als nur die eitle Sonnenseite, das muss man sich klar machen, bevor man seine Geschichte erzählt, die eigentlich von Mut und positivem Denken handelt.

Bobby Dekeyser sitzt in seinem Haus auf Ibiza. Es ist zehn Uhr vormittags, wie immer war er schon früh draußen. Wandern in den Hügeln, paddeln auf dem Meer. Und durchs Telefon dringt seine ruhige Männer-Stimme, die nach Ausgeglichenheit und jugendlicher Kraft klingt. Dekeyser ist im vergangenen Jahr 50 geworden, den Geburtstag nahm er zum Anlass, noch mal gründlich über sein Leben nachzudenken. Die Folge war eine Art Entrümpelungsaktion. Dekeyser verkaufte fast alles, was er besaß, seine Häuser, die er im Laufe der Zeit in verschiedenen Ländern erworben hatte, die Wohnungen, auch sein Flugzeug, das in New York stand. Er fand, er hatte zu viel teures Zeug. "Das stand alles in keiner Relation mehr", sagt er. Nur das Haus auf Ibiza hat er behalten als seine stille Gedankenfabrik, in der er Ideen und neue Projekte entwickeln kann. Und da sitzt er nun also unter Spaniens Sonne mit seiner Freiheit, seinem Reichtum und seiner Geschichte, die so viele Facetten hat, dass ein Zeitungsartikel nicht ausreicht, um sie alle zu beschreiben.

Bobby Dekeyser, ein Weltmann mit belgischem Pass und deutschen Wurzeln, bezeichnet sich selbst als "Exot". Da ist was dran, denn so richtig passt er nicht hinein in die strenge Wirtschaftszahlenwelt mit seinem Bewegungsdrang, seiner Krawattenphobie und seiner tief greifenden Nachdenklichkeit. Schon als Fußballer war er anders als die anderen, ein Ehrgeizling mit Mut zur Frechheit im richtigen Moment. Beim FC Bayern München war er in der Saison 1986/87 Ersatztorwart hinter seinem belgischen Landsmann, dem damaligen Weltklasse-Schlussmann Jean-Marie Pfaff. Dekeyser bestritt kein einziges Bundesligaspiel beim Rekordmeister, er wechselte schon nach einer Saison zum 1. FC Nürnberg. Aber die Geschichte, wie Bobby Dekeyser den Vertrag beim FC Bayern bekam, sagt viel über Dekeysers Freude am Wagnis.

Beim FC Bayern München - im Bild mit Klaus Augenthaler (rechts) und Hansi Pflügler - spielte Bobby Dekeyser (Mitte) nur selten, er war Ersatztorwart. (Foto: Imago)

Er traf Jean-Marie Pfaff damals zufällig in der Lobby eines Offenbacher Hotels, in dem er übergangsweise im Zimmer seines Freundes, des Fußballprofis Dieter Kitzmann, übernachten durfte - so steht es in Dekeysers Biografie "Unverkäuflich!". Dekeyser trainierte bei Eintracht Frankfurt mit, um sich fit zu halten. Er war 18, ein Talent, das nach Militärdienst und einem enttäuschenden Intermezzo beim belgischen Zweitligisten Royale Union Saint-Gilloise ohne Verein dastand. Dekeyser sah also Pfaff, er sprach ihn auf Flämisch an und überredete ihn, mit in die Tiefgarage zu kommen für ein kleines Spiel. Dekeyser malte in der Tiefgarage mit Kreide ein Tor an die Wand und warf Pfaff einen Ball zu. "Du triffst kein einziges Mal", sagte Dekeyser. Und dann nahm Pfaff ihn unter Beschuss. Dekeyser hielt Ball um Ball, bis die Ellbogen bluteten und die Jeans kaputt waren. Pfaff war beeindruckt. Bald darauf klingelte Dekeysers Telefon. Uli Hoeneß, der damalige FC-Bayern-Manager, lud ihn zum Probetraining ein.

Bobby Dekeyser mochte den Fußball. Wie ein Besessener stürzte er sich ins Training, sein Ehrgeiz war teilweise maßlos. Aber ihm missfiel die Enge des Fußballgeschäfts. "Du kannst da als Mensch eigentlich fast egal sein. Es geht nur darum, dass du deine Leistung bringst", sagt Dekeyser. Er interessierte sich für die Welt außerhalb des Fußballs, er freundete sich mit Künstlern an, und deshalb war es im Grunde folgerichtig, dass seine Fußballerkarriere früh endete, mit 26.

Er war bei 1860 München angekommen, der Klub war damals noch eine Giesinger Institution, die in der Bayernliga um ihren Stellenwert rang. Dekeyser hatte eine gute Zeit dort. Bis er bei einem Spiel in Memmingen bei einer Faustabwehr unglücklich mit einem Kollegen zusammenprallte. Jochbeinbruch. Augenbogenfraktur. Anfangs gab es Zweifel, ob er mit dem linken Auge je wieder würde sehen können. Dekeyser lag im Krankenhaus, aber kein Vertreter des Vereins besuchte ihn. "Da war ich so empört, dass ich gesagt habe, ich höre auf." Es war eine spontane Entscheidung, die im Grunde bescheuert war. Dekeyser hatte das beste Torhüter-Alter noch gar nicht erreicht. Er hätte es noch weit bringen können im Fußball. Aber der Abschied fühlte sich richtig an. Dekeyser wollte raus aus der Enge des Sports. Er wollte Unternehmer werden. Er würde eine Firma gründen. Sein Schwager, der Restaurant-Besitzer Brando Donapai, besuchte ihn im Krankenhaus. Sie würfelten ihre Nachnamen zusammen, und plötzlich wusste Bobby Dekeyser wie seine Firma heißen sollte: Dedon. Es gab noch keine Geschäftsidee, aber immerhin einen Namen. "Die Firma war ein bisschen Rebellion", sagt Bobby Dekeyser.

Heute wird Bobby Dekeyser häufiger in Talkshows eingeladen als früher als Fußballspieler. (Foto: Imago)

Heute ist Dedon der führende Anbieter für luxuriöse Outdoor-Möbel weltweit, mit insgesamt 3000 Mitarbeitern. Dekeyser hatte einen holprigen Start ins Geschäftsleben, sein erster Versuch, einen Verkauf für bemalte Skier aufzuziehen, scheiterte grandios. Dann kam er auf die Idee mit den Stühlen aus wetterfestem Material, genauer gesagt aus einer Kunststofffaser, die Dekeyser mit seinem Onkel Joseph Hummer alias Onkel Seppi entwickelt hatte. Als er auf der Gartenmesse in Köln einen philippinischen Rattan-Möbel-Flechter kennenlernte, wusste Dekeyser auch, wie die Herstellung funktionieren könnte. Und so entwickelte sich nach einer Serie von Rückschlägen über die Jahre jenes Unternehmen, von dem man sagen kann, dass es Maßstäbe gesetzt hat auf dem Gebiet der Terrassen-Einrichtung. Für Fußball-Liebhaber ist Bobby Dekeyser immer noch der Torhüter, der mal bei Bayern München, in Nürnberg und beim TSV 1860 spielte. In Wirklichkeit hat ihm seine zweite Karriere viel mehr Ruhm eingebracht. Als Möbel-Unternehmer ist Bobby Dekeyser das geworden, was er als Fußballer nie war: ein Weltstar.

Ob es ihn stört, dass manche den Fußball so groß machen in seinem Leben? "Ich empfinde es gar nicht so", sagt Bobby Dekeyser, "ich empfinde den Fußball als Lebensanschnitt, der sehr spannend war und den ich einbauen kann in das Gesamte, das mich geprägt hat." Längst ist er dem kleinen, dröhnenden Fußball-Business entwachsen. Er hat Ziele, die etwas mit Weltverbesserung zu tun haben.

Dekeyser, der frühere Schulschwänzer und Unterrichtsverweigerer, bietet mit seiner Stiftung Dekeyser & Friends Bildungsprogramme für Jugendliche auf der ganzen Welt an, er engagiert sich für Hilfsprojekte gegen Kinderarmut auf den Philippinen, dem Dedon-Produktionsland. Er umgibt sich mit Leuten wie der schottischen Friedensaktivistin Scilla Elworthy, um von ihnen zu lernen. Und trotzdem trägt er seine Fußballzeit irgendwie noch mit sich herum. Im Fußball hat er gelernt, dass aufgeben keine Lösung ist. "Ich habe immer das Gefühl, dass am Ende alles gut wird", sagt er, "und das musst du als Torwart speziell trainieren. Auch wenn man mal zwei-null zurückliegt, muss man immer dran glauben, dass es am Ende gut wird." Bobby Dekeyser mag Krisen. "Krisen haben mich immer motiviert", sagt er, "sie sind ein Anlass für Veränderung, und Veränderung macht mir wahnsinnig Spaß."

Wenn Bobby Dekeyser von seinem aufregenden Leben erzählt, klingt alles ganz leicht. Als könne man den Erfolg durch bloßes positiven Denken herbeizaubern. Aber man darf ihn nicht missverstehen. Um optimistisch sein zu können, muss man sehr fleißig bleiben. Und außerdem kennt Bobby Dekeyser die Grenzen, die einem das Leben manchmal setzt. Er weiß, dass es Schmerzen gibt, die kein Sonnyboy der Welt weglächeln kann.

© SZ vom 29.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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