WG-Casting:Der perfekte Mitbewohner

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"Wer bei uns einziehen will, muss schon etwas bieten": Eine Münchner Studenten-WG sucht für 21 Quadratmeter Altbau in Sendling nach dem perfekten Mitbewohner. Doch die wenigsten schaffen es überhaupt bis zum Auswahlgespräch.

Charlotte Theile

Es ist ein wenig wie bei einer Casting-Show. "Wer bei uns einziehen will, muss schon etwas bieten", sagt Jurek, 19, über seine Wohngemeinschaft. Dazu gehöre zunächst mal eine kreative Bewerbung, am liebsten mit Angabe des Facebook-Profils, damit sich Jurek und seine Mitbewohner vorab ein Bild vom Kandidaten machen können.

Seit fünf Wochen suchen Jurek, Kelsey und Simon (alle 19) schon nach einem Mitbewohner. (Foto: Florian Peljak)

21 Quadratmeter Altbau in Sendling für 520 Euro Warmmiete hat der junge Wirtschaftsinformatiker zu vergeben. Seit die Anzeige im Netz zu finden ist, schreiben ihm täglich einige Dutzend Interessenten - die wenigsten schaffen es bis zum persönlichen Gespräch. Seine Standard-Mail "Du hast es leider nicht in unsere engere Auswahl geschafft", verschicke er ein paar Mal am Tag, meint Jurek, während er mit Kelsey und Simon, seinen aktuellen Mitbewohnern, am WG-Küchentisch sitzt.

Vor ein paar Monaten noch war er selbst auf der Suche. "Ein Horror" sei das gewesen, denn zur gleichen Zeit suchten alle Erstsemester ein Zimmer, zudem kam da noch der Doppeljahrgang hinzu - auf die meisten Anfragen bekam Jurek nicht einmal eine Antwort. Selbst eine WG zu gründen, das erschien ihm leichter, als weiterzusuchen.

Heute sitzt er auf der anderen Seite des Küchentisches - und kann es sich leisten auszusortieren. "Männliche Bewerber haben wir niedriger priorisiert", berichtet er nüchtern von seinem Kriterienkatalog, der ihm die Suche nach dem perfekten Mitbewohner erleichtern soll. Die Anforderungen sind hoch, schließlich wissen sie genau, wie begehrt ihr Zimmer ist.

Ältere Studenten oder Berufsanfänger, die verzweifelt um ihre Gunst werben - daran haben sich die drei inzwischen gewöhnt. Doch der erste Eindruck kann täuschen: "Eine Bewerberin kam mit ihrem Vater, der hat die ganze Zeit geredet und sie kein Wort sagen lassen", erinnert sich Kelsey an eine Kandidaten, die zumindest so vielversprechend klang, dass sie eingeladen wurde. Andere würden sich "überverkaufen", sich als den perfekten Mitbewohner inszenieren, der immer lustig ist, leidenschaftlich gern putzt und auch mal für alle einkauft, ohne abzurechnen.

"Wenn die dann hier wohnen, ist wahrscheinlich doch alles ein bisschen anders", glaubt Simon. Witzig fanden die drei die Aktion eines jungen Webdesigners, der eine Homepage samt Flyer und QR-Code, eiem quadratischen Strichcode, der per Smartphone-Scan direkt auf seine Seite führt, gestaltet hat - ziemlich viel Aufwand für die Aussage: "Suche WG im Münchner Süden". Für Jureks Casting-Katalog hat es dennoch nicht gereicht.

Matratzenlager in der Turnhalle

Wie schwierig die Zimmer-Suche ist, daran kann sich auch Simon noch gut erinnern. Von seinen Kommilitonen weiß der Jura-Student von Matratzenlagern in Turnhallen und WGs, die ihre Couch im Flur für 15 Euro die Nacht vermieteten. Eine Miete von mehr als 500 Euro erscheint ihm noch als das kleinste Problem. Offiziell lag die durchschnittliche Nettokaltmiete in München 2011 bei 9,79 Euro pro Quadratmeter, Wohnungsbörsen im Netz kommen auf mehr als 13 Euro Durchschnittsmiete, inklusive Nebenkosten. Wer da Wohnraum zu vergeben hat, kann sich einiges erlauben.

Fensterlose Durchgangszimmer, die einfach an den Meistbietenden vergeben werden, oder Betrüger, die versuchen, mit Lockvogel-Anzeigen an das Geld der Wohnungs-Suchenden zu kommen: All das gibt es in einem umkämpften Markt wie München besonders oft. Aber auch Hamburg, Köln oder Frankfurt sind betroffen, wie Saskia Bestmann von der Plattform wg-gesucht berichtet. Dort bietet auch Jurek sein Zimmer an - und das nun schon seit fast fünf Wochen.

"Am Anfang haben wir die Leute zu lange zappeln gelassen" sagt Simon selbstkritisch, nun wollen sich die drei 19-Jährigen schneller entscheiden. "Wichtig ist ja eigentlich nur, dass man sich sympathisch ist und im Alltag miteinander klar kommt." Dafür täglich Dutzende Emails beantworten, fast jeden Abend neue Leute casten - "ein bisschen bekloppt ist das eigentlich schon, was hier abläuft." Der perfekte Mitbewohner, nach dem die drei Ausschau halten, sollte daher bitte bis zum Studienende bleiben.

© SZ vom 06.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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