Weiße Rose:Handeln, nicht schweigen

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Schäuble sorgt sich um die Zukunf tder westlichen Demokratien. (Foto: Axel Schmidt/Reuters)

Wolfgang Schäuble hält Gedenkvorlesung an der LMU

Von Martina Scherf

Draußen, vor dem Eingang der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), sind die Flugblätter der Weißen Rose steinern in den Boden eingelassen. 75 Jahre ist es her, dass die Studenten Hans und Sophie Scholl, Christoph Probst, Alexander Schmorell, Willi Graf und der Philosophieprofessor Kurt Huber hingerichtet wurden, weil sie hier zum Widerstand gegen Hitler aufgerufen hatten. Meist gehen die Besucher achtlos über die Bodenplatten hinweg. An diesem Donnerstagnachmittag aber stehen zwei blumengeschmückte Kränze davor. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hält kurz inne, wechselt einige Worte mit Hildegard Kronawitter, der Vorsitzenden der Weiße-Rose-Stiftung, den Angehörigen der Familien der Hinterbliebenen und LMU-Präsident Bernd Huber.

Im Audimax will er bei seiner Gedenkvorlesung über Anstand sprechen, für manche im Saal vielleicht ein angestaubter Begriff. Doch der CDU-Politiker, seit 45 Jahren in der Bundespolitik aktiv und dienstältester Abgeordneter des Deutschen Bundestags, hat ihn mit Bedacht gewählt. Schäuble wendet sich vor allem an die Studierenden. Das Sommersemester hat gerade begonnen, und "Sie sind hoffentlich neugierig, lebensfroh, wissbegierig. Die Zukunft bietet trotz aller Krisen reichlich Chancen in unserer offenen Gesellschaft mit ihren fast unbegrenzten Möglichkeiten".

Vor 75 Jahren war das anders. Da riskierte jemand, der seine Gedanken offen äußerte, den Tod. Dass die Nationalsozialisten ihre Verbrechen durch eine eigene Moral rechtfertigten, sei bis heute unbegreiflich, sagt Schäuble. Die Unterscheidung zwischen höher- und minderwertigem Leben "erscheint uns heute abwegig", so der Bundestagspräsident. Und Anstand, das sei vor allem eine Frage des Umgangs von Mensch zu Mensch. "Man kann selbstlosen Mut nicht einfordern - aber nicht Mitmachen, das können alle."

Dann spricht Schäuble den 92-jährigen Alt-Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (SPD) an. Vogel habe im Sommersemester 1943 sein Jurastudium an der LMU aufgenommen. Die Flugblätter seien damals bei den Studenten auf überwiegende Ablehnung gestoßen, "das haben Sie mir selbst berichtet". Der Gedanke, man dürfe oder müsse sogar dem Staat Widerstand leisten, habe damals auch seinen eigenen Horizont überstiegen, habe Vogel eingeräumt.

Und heute? "Die Würde des Menschen ist unantastbar" - Artikel 1 des Grundgesetzes sei ein Postulat, so Schäuble, "und es heißt nicht: die Würde des deutschen Staatsbürgers ist unantastbar." Nicht die Volksgemeinschaft sei zu schützen, sondern der einzelne Mensch. "Wer das anzweifelt, steht außerhalb unserer Verfassung." Respekt für andere, ein offenes Ohr für andere Meinungen, das gehört für Schäuble zum Anstand. Und zum Anstand gehöre auch, "gegenüber jenen, die die politische Kultur unseres Landes beschädigen und damit die Demokratie unterlaufen, sich nicht ins ,feine Schweigen' zurückzuziehen."

© SZ vom 14.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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