Genitalverstümmelung:Kampf gegen eine grausame Tradition

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Hinweisschild gegen die Beschneidungspraxis an Mädchen und Frauen in Benin (Foto: imago/photothek)
  • In Deutschland ist die weibliche Genitalverstümmelung verboten, in München leben aber immer mehr Mädchen und Frauen, die darunter leiden.
  • Hauptgrund für den Anstieg ist die Zuwanderung aus Ländern, in denen weibliche Beschneidung praktiziert wird.
  • Die Stadt will Betroffenen nun besser helfen.

Von Melanie Staudinger, München

"Endlich war der große Tag gekommen", schreibt Fadumo Korn auf ihrer Internetseite. Endlich sollte sie eine Frau werden. Stolz sei sie hinter den anderen Mädchen aus dem Dorf hinausgeschritten. Sie nahm auf einem Tuch Platz - und dann ging alles ganz schnell. Tante und Mutter hielten das siebenjährige Mädchen fest "und in meinem Kopf explodierte ein unsagbarer Schmerz - ein Schmerz, den ich auch nach mehr als 30 Jahren noch immer deutlich nachfühlen kann". Fadumo Korn lebte damals in einer Nomadenfamilie in Somalia. Und wie fast alle Mädchen dort wurde sie beschnitten. Seit 1979 wohnt sie in München und kämpft gegen die weibliche Genitalverstümmelung, unter der immer mehr Mädchen und Frauen hierzulande zu leiden haben.

Die Zahl der in München lebenden Mädchen und Frauen, die aus Ländern stammten, in denen weibliche Beschneidung praktiziert werde, sei in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, erklärte das Referat für Umwelt und Gesundheit unlängst im Stadtrat. Hauptgrund für den Anstieg sei die Zuwanderung aus Ländern, in denen weibliche Beschneidung praktiziert werde, aus Somalia zum Beispiel, Ägypten, Nigeria, dem Sudan, Eritrea, Indonesien, dem Jemen oder dem Irak. In Deutschland selbst ist die "Female Genitale Mutilation" (FGM) verboten. Die Stadt München will Betroffenen nun besser helfen und die Prävention verstärken, wie der Stadtrat in seiner jüngsten Sitzung beschlossen hat.

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Die Zahlen sind durchaus alarmierend. Während die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes 2013 noch von etwa 25 000 betroffenen und 2500 bedrohten Mädchen und Frauen in der Bundesrepublik sprach, gingen die Schätzungen für das Jahr 2017 von 58 000 Betroffenen und 13 000 Bedrohten aus. In München selbst leben fast 11 400 Frauen und Mädchen, die aus Ländern stammen, in denen die FGM praktiziert wird. Wie viele von ihnen tatsächlich von Genitalverstümmelung betroffen oder bedroht sind, ist nicht bekannt.

"Unsere Arbeit hat enorm zugenommen", sagt Tanja Sachs. Die Sozialpädagogin leitet seit August die Beratungsstelle Wüstenrose, die vom Verein Imma e.V. betrieben wird. Sachs zählte in diesem Jahr bereits 140 Fälle, bis Jahresende könnten es an die 190 sein, was einen Anstieg der Fallzahlen um 177 Prozent in den vergangenen zwei Jahren bedeutet. Die Mitarbeiterinnen, die sich eine Teilzeitstelle teilen, beraten zum einen Fachkräfte aus Kinderkliniken, Sozialbürgerhäusern, gynäkologischen Praxen oder Schulen, die mit gefährdeten Familien zu tun haben.

Es bestehe die Gefahr, dass die Eltern mit ihrer Tochter in die Heimat zurückflögen, um das Kind dort beschneiden zu lassen, sagt Sachs. Sie warnt aber vor einem Generalverdacht: Viele Familien, die in Deutschland eine neue Heimat gefunden hätten, kennen die Rechtslage und wollen ihre Töchter besser schützen. Fachkräfte müssten daher geschult werden, wie sie sensibel auf die Problematik hinweisen könnten, ohne dabei Familien vor den Kopf zu stoßen, sie voreilig zu verurteilen und den Kontakt zu ihnen zu verlieren.

In die Beratung der Wüstenrose kommen zudem Frauen, die selbst beschnitten wurden. "Die meisten von ihnen sind in dem Glauben aufgewachsen, nur eine echte Frau zu sein, wenn sie beschnitten sind", sagt Sachs. Sie stehen vor einem langen, schwierigen Weg, müssten sich bewusst machen, dass ihnen Schlimmes angetan wurde, das nicht hätte passieren dürfen. Die Frauen leiden unter seelischen wie körperlichen Schmerzen. Besonders schwierig ist die Situation in der Schwangerschaft und bei der Geburt, wenn operative Eingriffe notwendig werden. Vielen betroffenen Frauen fehle das Vertrauen in Institutionen und die Ärztinnen, manche müssten vor ihrer Familie verheimlichen, dass die eigene Tochter nicht beschnitten werde.

"Viel besser, als wenn wir weiße Frauen intime Gespräche alleine führen würden"

Ein langer Prozess, die ständige Gefahr einer Retraumatisierung - kein einfacher Job, den die Mitarbeiterinnen von Wüstenrose ausüben. Die Stadt will nun prüfen, ob das Personal der Beratungsstelle verdoppelt wird auf insgesamt eine Vollzeitstelle. Der momentan geplanten zusätzlichen halben Stelle muss der Stadtrat dann noch zustimmen.

Gleich starten kann hingegen ein anderes Projekt, das die Kommunalpolitiker in ihrer jüngsten Sitzung beschlossen haben. Für eine dreijährige Pilotphase soll das Referat für Gesundheit und Umwelt einen Pool von Kulturmittlerinnen und Kulturmittlern aufbauen. Diese sollen in erster Linie als Kontaktpersonen von Ärzten dienen und präventiv tätig werden: Sie helfen dem medizinischen Personal dabei, die Patientinnen oder Familien kultursensibel und einfühlsam aufzuklären, zu beraten und zu behandeln.

Mit Kulturmittlerinnen hat auch die Wüstenrose gute Erfahrungen gemacht. Es sind Frauen wie Fadumo Korn, die die Türen zu den afrikanischen Communities in der Stadt öffnen - die selbst betroffen sind, die eine klare Haltung gegen FGM vertreten, die die Menschen kennen. "Das ist viel besser, als wenn wir weiße Frauen intime Gespräche alleine führen würden", sagt Tanja Sachs. Ob der städtische Pool an Kulturmittlern ähnlich gut funktionieren kann, will sie abwarten. "Es ist wichtig, dass wir die Leute kennen und Vertrauen zu ihnen haben", sagt sie. Da könne nicht jedes Mal jemand anderer kommen.

© SZ vom 29.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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