Vorlesewettbewerb:Spannende Seiten

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Ein vorbereiteter Text, ein unbekannter: Aus diesen zwei Teilen besteht die Vorlese- Prüfung. Lilly Mae war im vergangenen Jahr, Landessiegerin in Bayern. (Foto: Monique Wüstenhagen)

An diesem Montag entscheidet sich, wer Bayern beim bundesweiten Vorlesewettbewerb repräsentieren darf. Vor 30 Jahren gewann den die Münchnerin Shirin Soraya - dieses Mal ist die Schauspielerin als Jurorin wieder dabei

Von Barbara Hordych

Rückblickend betrachtet war der Sieg im bundesweiten Vorlesewettbewerb vor 30 Jahren wegweisend für die Karriere der 42-jährigen Münchner Schauspielerin Shirin Soraya. "Damals besuchte ich die sechste Klasse eines Gymnasium in Unterhaching, dachte mir zunächst auch gar nicht viel dabei, als meine Lehrer mich für den Vorlesewettbewerb an der Schule vorschlugen", sagt Soraya, die halb Bayerin und halb Perserin ist und heute in Berlin lebt. Eher unbeabsichtigt habe sie damals die Stationen des Wettbewerbs gemeistert, in dem sie erst auf Schulebene und anschließend auf Stadt-, Kreis- und Bezirksebene gewann, bis sie später zur Bayerischen Landessiegerin und dann sogar zur Bundessiegerin avancierte. "Es fiel mir zu, hat mir Spaß gemacht, und ich war eher überrascht, als es von Stufe zu Stufe weiter klappte", erinnert sich Soraya.

An diesem Montag erlebt die Schauspielerin den Vorlesewettbewerb, der jährlich vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels durchgeführt wird, aus einer anderen Perspektive: Wenn 16 bayerische Bezirkssieger im Maximilianeum beim 60. Bayerischen Finale um die Wette lesen, sitzt sie in der Jury. Shirin Soraya entscheidet als eine von acht Juroren darüber, wer als Sieger oder Siegerin am 26. Juni zum Bundesentscheid nach Berlin fahren darf.

Seinerzeit fuhr die zwölfjährige Shirin zur Endausscheidung nach Frankfurt. "Ich erinnere mich mehr an die Reise als an den Wettbewerb, das waren aufregende Tage für mich, da meine Mutter erst zum Schluss, beim finalen Veranstaltungstag, nach Frankfurt kam", sagt Soraya. Sie selbst habe einen Text aus Christine Nöstlingers Kinderroman "Der Hund kommt" für ihren Vortrag vorbereitet, beim Wettbewerb dann aber auch eine fremde Textpassage lesen müssen. "Erstaunlicherweise war das bei mir schon immer so, dass ich mir fremde Texte ganz schnell erschließen kann, ich fasse sie rasch auf und kann sie auch mit verschiedenen Stimmlagen vortragen", sagt Soraya.

Ein vorbereiteter Text, ein unbekannter: Aus diesen zwei Teilen besteht die Vorlese- Prüfung. Lilly Mae war im vergangenen Jahr, Landessiegerin in Bayern. (Foto: Monique Wüstenhagen)

Bis heute sei das eine Eigenschaft, die ihr beim Lesen von Drehbüchern zugute komme, sagt die Schauspielerin mit dem Talent für Komik. Dieses führte sie ab 2001 verstärkt zum Fernsehen. Nach dem Erfolg ihrer ersten TV-Rolle in der Comedy-Show "Was guckst du?!" trat sie als Lehrerin "Frau Klawitter" in der Kinderserie "Schloss Einstein" auf und gehörte sieben Jahre lang zur Besetzung der Comedy "Sechserpack". Derzeit ist sie als eine von vier Hauptcharakteren in der Mädels-Soap "Freundinnen - jetzt erst recht" zu sehen.

"Bis heute ist der Wettbewerb zweigeteilt", erklärt Barbara Voit vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels. So bringen auch an diesem Montag die 16 Bewerber einen eigenen Text mit, dessen Vortrag sie einüben konnten. "Der zweite Teil ist dann aber der spannendere", sagt Voit, "denn da zeigt sich das wahre Talent der Kinder". Ein Überraschungsgast, dieses Jahr eine Autorin, bringe eines ihrer Bücher mit. Aus diesem Buch müssten die Kinder dann nacheinander Passagen vorlesen. "Unglaublich, wie sie es hinbekommen, den unbekannten Text zu erfassen und gleichzeitig schon sinnbetont zu lesen", sagt Voit. Es sei schon öfter vorgekommen, dass die Jurymitglieder nach dem zweiten Teil noch einmal die Favoriten, die sich nach dem ersten Teil herauskristallisiert hätten, wechselten.

1989 wurde Shirin Soraya zur Bundessiegerin gekürt. (Foto: Gerlind Klemens/oh)

Rund 600 000 Sechstklässler von 6900 Schulen im ganzen Bundesgebiet - darunter 1211 Schulen aus Bayern - haben sich im Jubiläumsjahr am Wettbewerb beteiligt, dessen Ziel die Leseförderung ist. Mitunter zeigt sich eine frühe Begabung, die später zu einer entsprechenden Berufswahl führt.

Ähnlich wie Shirin Soraya wurden auch andere junge Lese-Gewinner als Erwachsene berühmt. Etwa die Schauspielerin Eva Mattes, die Autorin Juli Zeh, der Hörbuchsprecher Oliver Rohrbeck oder der Moderator Guido Cantz. Die junge Shirin jedenfalls wurde seinerzeit sofort nach ihrem Sieg im bayerischen Finale von Heinrich Klug angeworben, dem Leiter der Kinderkonzertreihe der Münchner Philharmoniker. Er engagierte sie als Erzählerin für Janoschs Geschichte "Der Josa mit der Zauberfidel". "Ein Stück und eine Zusammenarbeit, die mich über Jahre begleitet hat", sagt Soraya. Zuletzt habe sie Heinrich Klug vor fünf Jahren noch einmal gebeten, in dem Konzert mitzuwirken, "was ich wahnsinnig gerne gemacht habe, ich habe mich auch sehr gefreut, wieder einmal in meine Heimatregion zu kommen". Weitere Auftritte hatte sie dann schon als Jugendliche im Staatstheater am Gärtnerplatz, etwa im Musical "Anatevka". Parallel las sie Hörspielproduktionen für den Bayerischen Rundfunk ein. Erfahrungen, die sie darin bestärkten, Schauspielerin werden zu wollen, sagt Soraya.

Dieser Wunsch brachte sie dazu, München zu verlassen. An der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam "Konrad Wolff" studierte sie Schauspiel. "Beworben hatte ich mich auch in München. Aber die Otto-Falckenberg-Schule hatte mich abgelehnt", sagt Soraya. Auswahlverfahren dieser Art steht sie bis heute skeptisch gegenüber. "Die Kriterien sind einfach sehr subjektiv; genauso wie bei dem Vorlesewettbewerb. Es ist ja keine Mathematik-Arbeit, in der man die Entscheidungen objektiv nachprüfen kann", sagt Soraya. Was sie Kindern mit auf den Weg geben würde, die an diesem Montag vielleicht enttäuscht werden? "Dasselbe, was ich mir nach Ablehnungen bei Castings sage: auf keinen Fall persönlich nehmen."

© SZ vom 27.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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