Von Avatar bis Sherlock Holmes:Dr. Bumm

Lesezeit: 5 min

TU-Informatikprofessor Nils Thuerey forscht an einem der schwierigsten Physik-Prozesse: Turbulenzen. Für digitale Film-Explosionen wie in "Iron Man" gewann er den Oscar. Sein nächstes Ziel?

Von Philipp Crone

Der Informatikprofessor startet die schuhkartongroße Nebelmaschine über dem Discolicht. Es zischt kurz und dann sieht man eines der großen Wissenschaftsmysterien der vergangenen 50 Jahre durch den kleinen quadratischen Raum im Informatik-Institut von Garching wabern: weißer Rauch, der sich in der Luft verteilt. Dieser Vorgang ist so komplex, dass die Filmbranche lange daran scheiterte, Rauch und Explosionen digital so zu erzeugen, dass es echt wirkt. Bis Nils Thuerey, ein großer schlanker Mann mit schwarzem angelocktem Haar, eine gute Idee hatte. Deshalb ist er heute nicht nur TU-Professor, sondern seit 2013 auch Oscar-Preisträger. Und wenn er ins Kino geht, "dann basieren wahrscheinlich die allermeisten Explosionen auf unserer Technik". Avatar? Iron Man? Nur halb so unterhaltsam ohne Thuereys Team. Und heute sind sie noch einen Schritt weiter.

Der 36-Jährige schaut zu, wie sich aus dem geraden Strom erst kleine Verwirbelungen abspalten, ehe am Ende der Rauch in eine durcheinanderströmende Wolke übergeht. Er lächelt dabei so versonnen fasziniert wie ein Kind, das einer Seifenblase nachblickt. Das Staunen in seinem Blick über einen Vorgang, den er schon tausendfach gesehen hat, lässt sich nur damit erklären, dass man es hierbei "mit einem der komplexesten Probleme der Physik zu tun hat", und dann eines, das man im Alltag überall sieht. Darin liegt auch die Schwierigkeit: Jeder weiß, wie eine Zigarette raucht, ein Schornstein dampft, eine Wasserfontäne spritzt, ein Haus explodiert. Seit Jahrzehnten sieht man das im Kino, und dafür wurden bislang meist echte Explosionen gefilmt. Denn gerade an physikalischen Vorgängen ist die Tricktechnik bislang oft gescheitert.

Thuerey beschäftigt sich im Prinzip nur mit zwei Gleichungen, den Navier-Stokes-Gleichungen. "Damit beschreibt die Physik Turbulenzen." Ob in Wasser oder Luft ist dabei egal. Zwei Gleichungen, die Thuerey so schnell auf ein DIN A4-Blatt vor sich schreibt, wie die erste große Explosion in "Iron Man 3" dauert, etwa fünf Sekunden. Fünf Sekunden mit Abermillionen Rechenprozessen.

Beispiel: Kerze in einem Schuhkarton. "Wir teilen einen Raum in sehr viele kleine Würfel auf und berechnen dann mit den beiden Turbulenzen-Gleichungen für jede Millisekunde, wie viel Rauch in den einzelnen Würfeln ist und in welchen Bewegungen er sich über die Würfel verteilt." Das dauert. Und dann hat eine Berechnung etwa einhundert Rechenschritte.

Wie verhalten sich Rauch, Feuer oder Wasser? Nils Thuerey erforscht Strömungen und simuliert sie digital.

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(Foto: Dreamworks)

Nach seinem Verfahren entstehen in Filmen dann Explosionen wie diese bei "Monsters vs Aliens".

Auch im Film "Avatar" sind Nils Thuereys Spezialeffekte zu sehen.

Was Thuerey deshalb macht mit seiner fünfköpfigen Arbeitsgruppe: Er versucht, die Gleichungen einfacher zu lösen. Ein bisschen wie im Mathematik-Unterricht. Die Nerds kommen mit drei Schritten zur Lösung, weil sie schlau kürzen, und die Normalos brauchen 13. Thuerey ist ein Super-Nerd. Er sagt zum Beispiel: "Geld verdienen steht hier nicht im Vordergrund." So sprechen wohl außerhalb der Hochschulwelt wenige Menschen. Aber er hat Recht in gewisser Weise. Seine Software-Entwicklung stellte er kostenlos zur Verfügung, wie das in der Wissenschaft eben üblich ist. Man publiziert, erklärt seine Methode, und alle bauen darauf auf. "Studios haben die Idee aufgegriffen und dadurch wurden wir erst bekannt, haben den Oscar gewonnen - und das hat mir auch dabei geholfen, letztlich die Stelle zu bekommen."

Thuerey arbeitet wie ein Ermittler. Er geht die Rechenschritte durch, analysiert sie, prüft Alternativen, "und das Schöne ist: Am Ende steht nicht nur eine Zahl wie sonst bei Berechnungen, sondern ein beeindruckendes Video zum Beispiel mit ordentlicher Explosion". Wie etwa die allererste, 2009, bei "Monsters vs. Aliens", als zum Finale das Raumschiff der Bösen in die Luft fliegt. "Dafür haben wir ein Poster bekommen." Immerhin. Keine Credits im Abspann? "Die sind heiß begehrt. Heute arbeiten ja bis zu hundert Digital-Techniker an einer Produktion, aber nur 20 werden dann aufgelistet.

Professor Nils Thuerey, der Tüftler, der schon in der zehnten Klasse ein eigenes Computerspiel entwickelte. Aber er hatte wohl auch kaum Chancen, aus dieser Tüftlersache rauszukommen. Der Vater Physiker bei der Weltraumbehörde ESA, die Mutter Mathematik- und Informatik-Lehrerin. Nerd-Familie? Thuerey lächelt. "Daheim gab es einen Computer auf dem Dachboden." Daran saß er und experimentierte, spielte "Super Mario" auf dem Gameboy, "da ist die Physik ja auch schon sehr wichtig". Springen, stoßen, fallen. Er studierte in Erlangen, weil es da einen Grafik-Crack an der Uni gab, ging zum Post-Doc nach Zürich, anschließend zum Weltmarktführer für digitale Physik-Effekte, Scanline, nach Los Angeles. Dann der Oscar, und vor zwei Jahren an die TU. Geheiratet hat er zwischendrin auch, eine Grafik-Designerin.

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In Zürich hatte er mit einem Kollegen, der nun bei Pixar ("Toy Story") arbeitet, die entscheidende Idee für ihr Gleichungsproblem. Er rechnete die Explosion, die Turbulenzen in zwei Schritten aus. Erst grob, dann fein. Das hatte zwei Vorteile. "Man konnte den Regisseuren schnell schon einmal zeigen, wie so eine Explosion aussehen würde." Und sie konnten verhindern, dass nach 50 Stunden Rechnen ein Rechenfehler das ganze Szenario unrealistisch aussehen lässt. "Wenn eine Berechnung nicht stimmt, fliegt der Rauch viel zu schnell weg oder schlägt unerwartete Wirbel." Man sieht den Unterschied etwa bei E-Zigaretten. "Da diffundiert Wasserdampf in der Luft und verhält sich ganz anders als Rauch, also Luft mit Rußpartikeln."

Mittlerweile sind sie so weit, "dass man eine Explosion nicht nur so realistisch macht wie möglich, sondern "so überrealistisch, wie es der Regisseur haben möchte". Wenn bei "Iron Man" ein Haus in die Luft geht, fliegen Rauchstreifen und Feuerbälle durch die Gegend, dass es aussieht wie ein gelbroter Blumenstrauß, "dramatisches Feuer, wo in Wirklichkeit nur eine Rauchwolke zu sehen wäre". Es gilt: je detaillierter und fulminanter, desto besser.

Alexander Espigares hat für einen Animationsfilm 2014 einen Oscar gewonnen. Er sagt: "Oft werden Explosionen noch echt gedreht, eine Gasexplosion vor einem schwarzen Hintergrund zum Beispiel, das wird dann digital eingebaut." Denn das Digitalisieren dauert und kostet. Auch deshalb ist Thuereys Entwicklung so erfolgreich. Sie bringt schnelle Ergebnisse. Espigares sagt: "Oft werden auch bis zu sechs Meter große Modellhäuser gebaut und in die Luft gejagt, weil das günstiger ist." Der deutsche Regisseur Roland Emmerich ("Independence Day") zum Beispiel bevorzuge noch immer richtige Explosionen. "Oder Transformers-Regisseur Michael Bay, der lässt alle seine Auto-Crashes und Explosionen echt drehen." Er selbst arbeite gerade an einem Projekt, wo viel Wasser physikalisch richtig digital bewegt werden muss. "Das ist so aufwendig."

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Wasserströmungen, auch die untersucht Thuerey. Oft am Computer, wo er neben seinen Berechnungen und Simulationen mit seinen fünf Mitarbeitern auch mal die neuesten Spiele der Branche testet, "aus wissenschaftlichen Zwecken natürlich". Oder er sucht das echte Wasser, zum Abschalten, auf der Eisbachwelle. "In LA bin ich oft gesurft." Strömungen spüren, um sie besser zu verstehen.

Manchmal dauert es Monate, um eine Szene wie etwa ein Raumschiff, das aus dem Wasser steigt, zu animieren, sagt Willi Geiger von der Animationsfirma ILM. Und Produzent Christian Becker ("Fack ju Göhte") sagt: "Feuer, Wasser und Explosionen sind digital am schwierigsten zu erzeugen." Bei Filmen wie "Iron Man" mit einem Budget von Hunderten Millionen Euro gehe mehr als die Hälfte der Produktionskosten für digitale Effekte drauf.

Thuerey tüftelt, um diese Kosten zu reduzieren. Drei Bildschirme vor sich, die Programmierfenster geöffnet, tippt Thuerey also immer neue Varianten zur schnellen Lösung der Stokes-Gleichungen in die Tastatur. Nur ab und zu geht er rüber zur Nebelmaschine, um sich inspirieren zu lassen. Es ist schon fast wie eine Sucht. "Ich kann an keinem Schornstein vorbeifahren, ohne zuzusehen." Dann sollte er, bis das Problem ganz gelöst ist, vielleicht auch Diskotheken meiden, vielleicht lieber ins Kino, Star Wars oder so.

Filmbeispiele bei Youtube unter dem Suchbegriff Scanline oder Video-Veröffentlichungen auf Thuereys Webseite: www.ntoken.com/pubs.html

© SZ vom 06.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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