Viertel-Stunde:Truderings Tunnel-Tattoos

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Die Künstlerin Sophie Kaiser hat die Kunst im Zwischenschoss des Bahnhofs gestaltet

Von Renate Winkler-Schlang

Die Passanten schauen auf ihr Handy oder hasten einfach eilig zum nächsten Zug. Dabei ist die Kunst im östlichen Verbindungsgeschoss des von Julia Mang-Bohn und Peter Bohn entworfenen U- und S-Bahnhofs Trudering durchaus einen Blick wert. Wo an anderen Knotenpunkten Werbung prangt, sorgen zwei großflächige Alutafeln mit Motiven der heute 70-jährigen Münchner Künstlerin Sophie Kaiser für einen Hauch musealer Atmosphäre. Kaiser hatte damals den Wettbewerb für die Kunst am Bau gewonnen - wohl auch, weil sie sich an die Vorgabe gehalten hat, traditionelle Truderinger Motive von alten Postkarten, die der Arbeitskreis Stadtteilgeschichte zur Verfügung gestellt hatte, pfiffig einzubeziehen und gleichzeitig das Lebensgefühl, die selbstbewusste Identität des Viertels, anklingen zu lassen.

Dass sie als Projektionsflächen für ihre althergebrachten Motive vom ländlichen Vorort - der aber schon einen Bahnhof für die Dampfloks hatte - die nackten Oberarme von Armdrückern und Fingerhaklerinnen nahm und das Ganze wie Tattoos wirken ließ, sei ihr quasi im Schlaf eingefallen, erzählt Sophie Kaiser. Sicher war sie inspiriert von Volksfesten in der Mongolei, wohin sie damals gereist war.

Wie eine Dirigentin arbeitete die studierte Künstlerin, Meisterschülerin von Rudi Tröger, für ihr Werk mit vielen zusammen, mit dem Tätowierer Ralf Waller, der Kalligrafin Ruth Gimpel, der Fotografin Silvana Weber, einer Werkstatt für Siebdruck, die Repros machte Günter Urban. Sie lacht: Nein, es gebe niemanden, der heute mit diesen Reminiszenzen ans frühere Trudering auf der Haut herumlaufe: Die Farbe war abwaschbar.

Zwischen den Härchen ihrer kraftstrotzenden Helden stehen Texte in Sütterlin-Schrift, gefunden bei der Dichterin Birgit Riepl. Kaiser hat sie ausgewählt, weil sie den Übergang vom Dorf zur Stadt, die Industrialisierung, thematisieren. Dass die Texte mit Ludwig Thoma zu tun hätten, wie ein kleiner Hinweis im Schaukasten neben dem Kiosk erwähnt, sei falsch, sagt Kaiser. Wer das veröffentlicht habe, wisse sie auch nicht. Sie jedenfalls habe "kein Bauerntheater" im Sinn gehabt. Sie freut sich, das ihre Kunst auch heute noch höchst aktuell erscheint.

© SZ vom 20.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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