Viertel-Stunde:Marquise Dassies boxende Pferde

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Eher beschaulich statt legendär: die Kolosseumstraße. (Foto: Privat)

Eine Sensation jagte die nächste im schillernden Amüsierbetrieb "Colosseum", an den heute nur noch eine Straße erinnert

Kolumne von Jutta Czeguhn

Eine Sensation jagt die nächste an diesem Abend im Colosseum. Zu sehen gibt es im "ersten und ältesten Theater-Variété Münchens" die Leiter-Spring-Clowns "Les 4 Charivari", den komischen Original-Maler Rolf Holbein und den Kracher der Saison: die Marquis Dassie mit ihren "sieben boxenden, tanzenden, lachenden und Football spielenden Pferden". Madame Marquis schreibt sich doch tatsächlich ohne das "e" hinten dran, sehr wahrscheinlich kommt sie eher aus der Au als aus Paris. Wen kümmert's, bietet sie doch den "besten und vornehmsten Dressurakt der Gegenwart" - des Jahres 1911. Entdecken kann man diesen Programmzettel, der mit Superlativen nur so um sich wirft, im Valentin-Musäum, denn auch Münchens bekanntester Humor-Jongleur war in der Singspielhalle häufig zu erleben. Die "Raubritter von München" hat er dort zusammen mit der Karlstadt gespielt.

Geblieben ist von diesem schillernden Etablissement nur ein Straßenname, die Kolosseumstraße, ein so gar nicht kolossales Sträßlein im Glockenbachviertel, wo der Amüsierbetrieb mit der Hausnummer vier einst stand. Ein Riesentrumm muss das gewesen sein, 1873 vom Bauunternehmer Peter Kil errichtet, bestehend aus Bierhalle, Biergarten und einem Theatersaal mit 1700 Plätzen. Die Kolosseumstraße heute ist ein - fast - beschauliches Stück München: An der Ecke zur Müllerstraße wirbt eine Traditionsmetzgerei mit Rindfleischsuppe, schräg vis-à-vis gibt's traditionell chinesische Ernährungsberatung. Bewegt man sich auf die Jahnstraße zu, dominiert auf der Südseite der Kolosseumstraße ein großer Wohnblock, viele Balkone, Aufgänge, Klingelschilder, Innenhöfe. In einem die Galerie für zeitgenössische Kunst von Nicole Gnesa, die unter anderem das legendär barhäuptige Gesamtkunstwerk Eva & Adele vertritt. Eine Adresse für prominente Zeitgenossen ist auch der Plattenladen "Optimal" im Vorderhaus, in dem schon Robbie Williams nach Raritäten gestöbert haben soll. Zu einiger Bekanntheit gebracht hatte es auch das "X-Cess", einst Kolosseumstraße Nummer 6, selbst die New York Times hatte über die Kneipe berichtet, in der die Gäste selbst auflegten.

Aber auch das tempi passati, wie das Colosseum, das 1944 bei Bombenangriffen zerstört wurde, 1947 wiedereröffnete und 1958 für immer schloss. Doch wer ganz leise ist, könnte sie noch hören, die Rufe der Serviermädchen, die im Colosseum einst "Constantin"-Zigaretten feilboten, oder den Applaus für die Marquise Dassie und ihre begabten Gäule.

© SZ vom 17.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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