Viertel-Stunde:Gerechtigkeit für eine starke Frau

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Der Revolutionärin Sarah Sonja Lerch sind in Neuperlach ein Weg und eine Ausstellung gewidmet

Von Hubert Grundner

Sie war Frau, sie war Intellektuelle, sie war Jüdin, sie war Revolutionärin und sie war obendrein Russin - diese Mischung war brisant." Mit wenigen Worten skizziert Günther Gerstenberg das Bild einer vielschichtigen Persönlichkeit, an die er zusammen mit Cornelia Naumann erinnern will: "Sarah Sonja Lerch - Münchens vergessene Revolutionärin" heißt ihre Ausstellung, die das Kulturhaus Neuperlach ( www.kulturbunt-neuperlach.de) bis 21. Februar zeigt. Den Anlass dafür lieferte - in mehrfacher Hinsicht - die Benennung eines Fußwegs nach ihr. Der führt von der U-Bahnstation Quiddestraße, in deren unmittelbarer Nähe das Kulturhaus liegt, bis zur Kurt-Eisner-Straße. Und an der Seite von Bayerns späterem ersten Ministerpräsidenten spielte wiederum Lerch einst eine bemerkenswerte Rolle.

Anfang 1918 taucht sie offenbar unvermittelt in München auf und betreibt gezielte Agitation für einen Generalstreik, mit dem sie den Krieg beenden, den Frieden mit Russland erzwingen und Deutschland in eine Republik verwandeln will. Doch wer war die am 3. Mai 1882 in Warschau als Sarah Sonja Rabinowitz geborene Pazifistin?

Seit 2015 recherchierten Günther Gerstenberg und Cornelia Naumann weltweit in Archiven und fanden weitere Puzzleteile ihrer Biografie. Demnach studierte sie in der Schweiz und in Deutschland, kehrte 1905 als Revolutionärin nach Russland zurück, 1912 heiratete sie schließlich den Romanisten Eugen Lerch und kehrte der Politik vorläufig den Rücken. Erst 1917, mit der Gründung der USPD, wird Sarah Sonja Lerch wieder aktiv, vor allem in den folgenden Januarstreiks 1918. Die wurden, so Naumann und Gerstenberg, bisher von der Forschung vernachlässigt. Laut Kurt Eisner waren es aber gerade diese Arbeiterstreiks, die wenige Monate später zur Revolution führten. Zuvor aber wurden die Aufstände brutal niedergeschlagen. Lerch selbst kam in Haft, zunächst am Neudeck. Später wurde sie in das Gefängnis München-Stadelheim gebracht, wo sie am 29. März 1918 in ihrer Zelle erhängt aufgefunden wurde, wobei die näheren Umstände ihres Todes bis heute nicht aufgeklärt sind.

Damals seien die Medien über sie hergefallen, berichtet Naumann: "Die Zeitungen zeigten hämische Karikaturen einer schlampigen und ungepflegten Heuchlerin, die in ihrer Kammer Würste, Speck und Schinken hortet, während die Masse hungert." Gerstenberg erkennt darin den typischen chauvinistischen Reflex einer von Männern dominierten Gesellschaft. Und für die war damals "eine Frau, die zu denken anfängt, die politisch wird, keine richtige Frau mehr. Das herkömmliche Frauenbild wird von ihr durchbrochen, und da muss man natürlich kräftig mit dem Hammer draufhauen", merkt er dazu sarkastisch an. Jedenfalls seien die meisten Frauen, obwohl sie bei praktisch allen Revolutionen entscheidenden Anteil hatten, erst geschmäht und dann vergessen worden. Banalisiert als "Weiberkrawall", finden sich kaum noch Spuren ihres Wirkens in den Geschichtsbüchern. Dem möchten die Künstler mit ihrer Ausstellung entgegenwirken. Das Schild mit der Aufschrift "Sarah-Sonja-Lerch-Weg" kann Besuchern den Weg weisen.

© SZ vom 31.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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