Viertel-Stunde:Gedenken auf Augenhöhe

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Drei Wandtafeln erinnert an Bertha, Max und Herbert Wertheimer, Opfer des NS-Regimes

Kolumne Von Julius Bretzel

Als das jüdische Ehepaar Max und Bertha Wertheimer 1926 das Haus an der Nymphenburger Straße 29 bezieht, steckt es bereits in einer finanziellen Notlage. Der 1881 in Mähren geborene Kaufmann und seine Frau haben in Folge der durch die Finanzierung des Ersten Weltkriegs entstandenen Inflation ihr gesamtes Vermögen verloren. Die gemeinsamen Söhne Kurt und Herbert Werner müssen deshalb im Alter von sechs und vier Jahren in ein nahe gelegenes Kinderheim ausziehen.

Die wachsende Macht der Nationalsozialisten in den 1930er Jahren brach die Familie endgültig auseinander: Erich, der Sohn von Max aus erster Ehe, emigrierte nach New York, Kurt flüchtete mit 16 Jahren nach Palästina. Die Familie musste 1939 ihr Haus verlassen und wurde von der Gestapo gezwungen, in die Synagoge an der Reichenbachstraße zu ziehen. Der erst 16-jährige Herbert wurde ein Jahr später verhaftet und in verschiedenen Haftanstalten gefangen gehalten. 1941 wurde er ins Konzentrationslager Dachau gebracht und noch am Ankunftstag erschossen, wegen "Widerstands gegen die Staatsgewalt", wie die Todesurkunde ohne weitere Erklärung festhält.

Von da an ging es auch bei Max und Bertha Wertheimer schnell bergab: zuerst ein Umzug von der Sammelunterkunft in ein Internierungslager in Berg am Laim, wenige Tage später in ein Barackenlager am Hart. Die Spur des Ehepaars verliert sich im polnischen Ghetto Piaski, in das sie die Gestapo 1942 deportierte. Auf welche Weise Bertha und Max Wertheimer dort ums Leben kamen, ob sie ermordet wurden oder verhungert sind, ist nicht bekannt.

Doch an sie gibt es nun eine sichtbare Erinnerung: drei vergoldete Wandtafeln am einstigen Wohnhaus an der Nymphenburger Straße mit den Namen, Lebensdaten und Porträts von Bertha, Max und Herbert Wertheimer. In ganz München erinnern solche Tafeln und Stelen an Einzelschicksale, die stellvertretend stehen für die etwa 10 000 Münchner Frauen, Männer und Kinder, die Opfer des NS-Regimes wurden. So können vergessene Namen zurück in die Stadt geholt werden, mit Gedenken auf Augenhöhe.

© SZ vom 05.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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