Viertel-Stunde:Ein Fleck im Reich des Riesen

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Als der wackere Dietrich von Bern den mächtigen Sigenot suchte und besiegte, fand er den richtigen Weg ohne jeden Stadtplan. Heute würde er sich sicher schwerer tun. Den Platz in Gern, der nach diesem sagenhaften Ungeheuer benannt ist, findet man selbst mit modernen Karten nur nach längerer Suche

Von Anita Naujokat

Zwanzig Bäume und eine Litfaßsäule auf einer mit bunten Blättern gesprenkelten Wiese, aber weder eine Bank zum Verweilen noch ein Straßenschild. Es ist ein kleiner Platz mit dem Namen eines Großen an einer der äußersten Ecken Gerns, kurz bevor Moosach beginnt. Was die Stadtväter seinerzeit geritten haben mochte, den Fleck 1927 nach Sigenot zu benennen, wissen die Götter.

Sigenot war ein Riese, er wurde der Sage nach von dem ebenso legendären Dietrich von Bern und dessen Waffenmeister Hildebrand besiegt. Gut, in der Nähe liegt die Dietrichstraße, die ihren Namen Dietrich von Bern verdankt, ebenfalls 1927 war das. Doch wer jetzt denkt, dass die nicht weit entfernte Hildebrandstraße in der Borstei dann logischerweise 1928 auf Dietrichs Kampfgefährten beruht - weit gefehlt. Deren Namen ordnen Stadthistoriker einem Bildhauer zu.

Die Spurensuche dauert eineinhalb Stunden. Und hätte man den Platz nicht in Stadtteilbüchern und -plänen mit eigenen Augen eingezeichnet gesehen, würde man an seiner Existenz zweifeln. Registriert ist er auch im Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt Nummer 13 vom 29. Juni 1973 als Teil des Sperrbezirks, in dem gewerbsmäßige Unzucht verboten wurde.

Im Realen aber ist der Platz ein Phantom. "Der Sigenotplatz?", fragt eine Frau zurück, die ihren Hund am Nymphenburg-Biedersteiner Kanal ausführt. Sie wohne schon lange hier, doch von dem habe sie noch nie gehört. Auch der Streife gehende Polizist muss passen: "Nie gehört." Ein älteres Ehepaar verweist in die weitläufigen Innenhöfe des nahen Wohngebietes, das sich in Hohenlohe-, Klug- und Paschstraße gliedert: "Vielleicht ist er dort. . . ". Dort finden sich zwar schöne Brunnen und verwaiste Spielwiesen, aber weit und breit kein Sigenotplatz.

Der kleine Faltplan aus dem nahen Hotel hilft: Jawoll, diese Karte enthält den wohl unbekanntesten Platz in ganz München. Er ist die kleine baumbestandene Wiese an der Postillonstraße zwischen den Tennisplätzen und der Dachauer Straße. Und just als man bei ihr ankommt, bricht ein Sonnenstrahl durch die graue Wolkendecke - ganz so, als wollte der sagenhafte Riese ein Zeichen senden.

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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