Viertel-Stunde:Die Grotte in der Grenzkolonie

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Die Fauststraße trägt ihren Namen zurecht. Man kann hier einen prima Osterspaziergang machen

Von Berthold Neff

Die Münchner Stadtväter waren gut beraten, diese Straße nach dem wichtigsten Werk des größten deutschen Dichters zu benennen, nach einer Gestalt, deren Ringen vornehmlich darauf ausgerichtet war, zu erkennen, "was die Welt im Innersten zusammenhält". Hier, am Rande der Stadt, hätte der große Faust sehen können, wie die nach ihm benannte Straße immerhin eine ganze Stadt zusammenhält, sie vor dem weiteren Ausfransen Richtung Solalinden oder Oedenstockach bewahrt.

Es ist anzunehmen, dass ihm heute, dürfte er durch diese seine Straße promenieren, noch einmal der berühmte Jauchzer aus dem Osterspaziergang gelänge: "Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!" Es ist grün hier, die Häuser sind imposant, manche sogar geschmackvoll. Würde ihm, wie einst in "Faust. Der Tragödie erster Teil", wieder der schwarze Pudel auf dem Fuß folgen, könnte sich dieser schon auf dem Friesplatz erleichtern. Das tun zumindest seine heutigen Artgenossen schon mal prophylaktisch, wenn sie von ihren Herrchen Richtung Wald geleitet werden.

Also, wenn wir den Doktor Faustus heute in der Truderinger Grenzkolonie durch seine Straße zum Osterspaziergang schicken, empfehlen wir ihm, entweder in seinem Geländefahrzeug anzureisen oder aber vom Bahnhof Trudering den Stadtbus 194, Endstation Nauestraße, bis zur Haltestelle Friesplatz zu nehmen. Dann ein paar Schritte Richtung Nordost, und schon ist er da, auf seiner Straße, vor ihm nur noch der Wald beziehungsweise das, was der Orkan Niklas davon übrig gelassen hat.

Linker Hand, wo die Fauststraße beginnt, standen bis Dienstag, 12.45 Uhr, drei stolze, fast 20 Meter hohe Fichten. Der Sturm hat sie geknickt und das kleine Haus verschont, dessen Vorgarten sie bisher Schatten spendeten. Auf Google Earth stehen sie noch, und auch das Wohnmobil, das sie bei ihrem Niedergang nur um Haaresbreite verfehlten. Wir empfehlen dem Gelehrten, nun brav auf dem Gehsteig Richtung Osten zu wandeln, den Blick zur Linken auf den Wald gerichtet. Richtig warm ist es noch nicht, aber im Prinzip stimmt schon, was Goethe dichtete: "Der alte Winter, in seiner Schwäche,/Zog sich in rauhe Berge zurück." Der Schnee der letzten Nacht ist wieder weg, denn "die Sonne duldet kein Weißes", wie schon Goethe wusste, lediglich "an Blumen fehlts im Revier".

Dafür gibt es massig Sturmholz, meist Fichten, Tannen und Kiefern, auch ein paar Birken sind dabei, übereinander gestapelt, der Wurzelstock samt Erde gegen den Himmel gereckt. Das wäre ein guter Anschauungsunterricht für den alten Faust, der an die Macht des Menschen glaubte, der Natur trotzen zu können. Was hielte er wohl vom Klimawandel? Ließe er sich davon überzeugen, dass auch der mit all seinen katastrophalen Folgen vom Menschen gemacht ist?

Jetzt ist er schon an der Hausnummer 80 angelangt und sollte den Blick nach links wenden, zum Wald hin. Eine Inschrift auf einem Stein am Wegesrand kündigt an: "Zur Grotte des Friedens, den die Welt nicht geben kann." Auf dem Weg, es sind kaum 100 Meter, sollte er höllisch aufpassen. Hier über ein paar gestürzte und zersplitterte Stämme kraxeln, den nächsten, der Raum zum Durchgehen lässt, unterqueren. Und dann steht er vor der Lourdes-Grotte mit der Muttergottes. Ein paar Lichtlein brennen, ringsum hat die Wucht des Orkans etliche Riesen wie Streichhölzer geknickt. Auf die Grotte ist kein einziger gefallen.

© SZ vom 04.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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