Viertel-Stunde:Auf Lenins Spuren

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Gedenktafel Lenins im Keller Kaiserstraße 46. (Foto: T. Lukina/oh)

Ob der russische Revolutionär sein einstiges Exil wiedererkennen würde?

Kolumne von Kilian Beck

Iskra", Russisch für "Der Funke", hieß die Zeitschrift, die Wladimir Iljitsch Uljanow, bekannt als Lenin, gemeinsam mit vier anderen russischen Revolutionären an der Senefelderstraße 4 drucken ließ. Heute erstickt das vom "Funken" entfachte Feuer unter einem Hotel. Was Lenin nach seinen in München verbrachten Jahren zur Niederlage gegen seinen Klassenfeind aus Glas und Beton gesagt hätte? Schwer zu sagen. Ausgesprochen hätte er es wahrscheinlich im damaligen Café Noris an der Leopoldstraße 41. Dort traf er sich anno 1900 mit seinen Mitstreitern, mit einer von ihnen war er verheiratet: Nadežda Krupskaja lernte er im Herbst 1895 kennen und danach in der sibirischen Verbannung lieben.

Spazierten die beiden heute die Leopoldstraße entlang zu ihrer ersten Münchner Wohnung an der Siegfriedstraße 14, träfe sie wahrscheinlich der Schlag: Ein Burger-Laden, ein kulturelles Indiz für den expansiven Imperialismus, den Lenin 1916 als "das höchste Stadium des Kapitalismus" bezeichnete, hat sich im Erdgeschoss ihres ehemaligen Wohnhauses breitgemacht. Nach vier Wochen führte sie ihre revolutionäre Romanze in ihr neues Domizil an der Schleißheimer Straße 106. Blickten die beiden dort heute aus einem der Erkerfenster des Hauses, sähen sie etwas Vertrautes: ein Trachtengeschäft. Was heutige Leninisten und andere Linke oft eher verspotten, würde den beiden wohl das Gefühl geben, dass sich in "Baiern" doch nicht allzu viel geändert habe.

Ginge Uljanow von dort zur Druckerei, in der die "Iskra" entstanden ist, käme er an einem anderen revolutionären Ort vorbei: Im Mathäser-Wirtshaus an der Bayerstraße rief Kurt Eisner einst den Freistaat Bayern aus und setzte dem Königreich Bayern ein Ende. Heute dominieren dort wie an der einstigen "Iskra"-Druckerei Stahl und Glas. Die Münchner Brauhaus- und Bierkultur beeindruckte den Revoluzzer damals: "Besonders angenehm ist die Erinnerung an das Hofbräuhaus, wo das ausgezeichnete Bier alle Klassengegensätze auslöscht", schrieb er in sein Tagebuch. Ob er das bei einem Masspreis von 9,20 Euro heute wiederholen würde?

© SZ vom 12.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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