VHS: "Starten statt Warten":Zukunftstraum Ausbildung

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Die Münchner Volkshochschule bietet Schulabbrechern einen Weg aus der Sackgasse - damit am Ende nicht die Langzeitarbeitslosigkeit steht.

Christa Eder

Zum Beispiel Menekse: Geboren in der Türkei, aufgewachsen in München, Kindergarten, Grundschule und Hauptschule besucht. Bis zur siebten Klasse sei es, bis auf die Vier in Sport und PCB (Physik, Chemie, Biologie) ganz gut gelaufen, findet die heute 17-Jährige. Dann ließen sich ihre Eltern scheiden, und von da an sei ihr Leben "ziemlich gemischt" verlaufen, sagt sie. Sie ging mit der Mutter in die Türkei, scheiterte dort in der achten Klasse, kam nach einem Jahr wieder zurück, wiederholte die Siebte, schaffte aber die Achte nicht mehr. Nach Erfüllung ihrer neun Schulpflichtjahre hat sie ohne Abschluss die Schule verlassen.

Lernen kann Spaß machen, wenn Aussicht auf einen Ausbildungsplatz besteht. (Foto: Foto: Robert Haas)

Menekse ist eine von 835 Münchner Hauptschülern, die 2008 keinen Abschluss geschafft haben - und deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt fast Null ist. Wer Glück hat, findet als Ungelernter noch einen Hilfsjob am Band oder am Bau, die meisten aber erwartet eine Zukunft als "Hartzer" oder Langzeitarbeitsloser. Davor hat Menekse Angst.

Seit vergangenen Herbst geht sie deshalb wieder in die Schule, genauer in die Münchner Volkshochschule (MVHS), wo sie am Projekt "Starten statt Warten" teilnimmt, einem einjährigen Lehrgang, der junge Migranten auf den Hauptschulabschluss vorbereitet. Sie weiß, dass das ihre letzte Chance auf einen Ausbildungsplatz ist. Und dafür wolle sie alles tun, sogar die teure Nachhilfe in Mathe nehmen. Denn Menekse hat einen Traum: "Ich will unbedingt Reisekauffrau werden und danach zurück zu meiner Mutter in die Türkei."

In München lag die Quote der Jugendlichen ohne Abschluss aus allgemeinbildenden Schulen mit 8,5 Prozent deutlich über dem bayerischen (6,3 Prozent) und bundesweiten (sieben Prozent) Schnitt. Die meisten, etwa 63 Prozent, kommen aus den Förderschulen. An den Hauptschulen sind es 16 Prozent. Aber auch aus Realschulen, Gymnasien und sonstigen Schulen gehen Schüler ohne Hauptschulabschluss ab: 12,5 Prozent der Schulabgänger ohne Abschluss aus.

Seit Jahren versuchen Stadt, Schulen und Arbeitsamt mit unzähligen Maßnahmen, Schulversager weiterzuqualifizieren und in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Doch die Zahlen gehen nur leicht zurück, auch weil viele Maßnahmen nicht greifen. Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) untersucht derzeit die Berufswege von 1500 Jugendlichen nach der Schule und hat festgestellt, dass viele Zwischenschritte zur Weiterqualifizierung oder Berufsvorbereitung lediglich eine "Notlösung mangels besserer Alternativen" seien.

Schlechte Aussichten

25 Prozent der befragten Hauptschüler ohne Abschluss waren nach 54 Monaten immer noch ohne Ausbildung. Auch Menekse hat zwei Jahre lang eine Maßnahme nach der anderen durchlaufen: Praktika beim Friseur, bei einer Drogeriekette, bei Reisebüros, Blockunterricht beim Arbeitsamt. Eine Lehrstelle hat sie nicht bekommen. Und selbst mit dem einfachen Hauptschulabschluss - 2009 erreichten ihn 40 Prozent - sind die Aussichten nicht viel besser. Rechnet man Schulabgänger mit einfachen und ohne Abschluss zusammen, gelten die Hälfte aller Hauptschüler als nicht oder nur bedingt ausbildungsreif.

Wer ohne Abschluss von der Schule geht, findet sich ein paar Jahre später in einer beruflichen Schulen wieder. Dort setzt sich der Weg des Scheiterns fort: Von etwa 23.000 Absolventen haben 2007/2008 insgesamt 6875 keinen Abschluss gemacht, die meisten von ihnen, 5902, haben vorzeitig abgebrochen. Die Situation für Schulversager wird sich, einer Prognos-Studie zufolge, bis 2015 noch verschärfen.

22.000 Arbeitssuchende ohne Ausbildung

Der Bedarf an Fachkräften werde zunehmen, der an Ungelernten im selben Maße abnehmen, wenn sich die Ausbildung nicht an den "Erfordernissen des Arbeitsmarktes" orientiere, heißt es dort. Derzeit würden Jugendliche für einen Arbeitsmarkt beschult, den es so nicht gibt, so die Studie. Das Ergebnis dieses wenig zielgerichteten Ausbildungssystems spiegeln auch die aktuellen Arbeitslosenzahlen wider: In München waren im Januar gut 46.000 Arbeitssuchende bei der Agentur für Arbeit gemeldet, 22.000 ohne Berufsausbildung.

Projekte, wie "Starten statt Warten" sind erfolgreich, aber angesichts dieser Zahlen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Zwischen 70 und 90 Prozent der Teilnehmer fanden bislang über das Projekt eine Lehrstelle , "die sie auch beendet haben", betont Hedwig Fuß, Leiterin der Integrationsprojekte bei der MVHS. "Unser oberstes Prinzip ist, dass danach niemand auf der Straße steht."

Wer keine Lehrstelle findet, geht weiter auf die Schule, nur Einzelne brechen ab oder gehen zurück in ihre Heimatländer. Eine Teilnehmerin habe es sogar zur Steuerfachfrau gebracht, ein anderer zum Fachinformatiker. "Freilich sind das Ausnahmen", sagt Fuß "aber es beweist doch auch, dass diese Jugendliche was schaffen können, wenn sie motiviert sind."

Der Erfolg des einjährigen Projekts fußt auf einer sehr intensiven Betreuung. Um eine Klasse mit maximal 18 Jugendlichen kümmern sich neben den Lehrern zwei Sozialpädagogen, die Praktika vermitteln und die Schüler darauf vorbereiten. Zweiter Schwerpunkt ist die Elternarbeit. "Es gibt viele, die gar kein Interesse an der Ausbildung ihrer Kinder haben, sich aber einmischen und dem Sohn den Friseurberuf ausreden, weil der in der Heimat kein Prestige hat", sagt Koordinator und Lehrer Beat Schliep.

Eigeninitiative fehlt

Das Hauptproblem der Jugendlichen sei, neben sprachlichen Defiziten, ihre ganze Einstellung: "Viele kommen hier an und haben erst einmal kapituliert", sagt Schliep. "Sie können sich gar nicht vorstellen, jemals etwas zu finden, was ihnen Spaß macht. Sie erwarten nichts mehr." Aber auch an Disziplinen wie Pünktlichkeit und Eigeninitiative fehle es. Einfacher hätten es noch diejenigen, die erst vor vier, fünf Jahren nach Deutschland gekommen seien, so Schlieps Erfahrung: "Die sind noch nicht so frustriert von der Schule."

So gesehen hat es Mehmet besser als Menekse. Der Siebzehnjährige ist vor zwei Jahren mit guten Schulnoten aus der Türkei gekommen, hat gleich einen Deutschkurs gemacht und kam dann zu "Starten statt Warten". Maler und Lackierer will er werden, wie alle in seiner Familie. "Das Projekt hier ist meine Chance auf einen Ausbildungsplatz", sagt er.

Dass die Lehrer ihn so sehr unterstützen, beim Lernen, beim Bewerben oder bei der Suche nach Praktika, schätze er sehr, sagt er. Er sehe, wie frustriert seine Freunde sind, die sich vergeblich um eine Stelle nach der andern bewerben. "Mir würde das auch so gehen", sagt er. "Allein würde ich das nie schaffen." Es sieht gut aus für Mehmet. Der Betrieb, bei dem er Praktikum gemacht hat, will ihn als Lehrling übernehmen.

Trotz des Erfolgs von "Starten statt Warten" glaubt auch Hedwig Fuß, dass eine frühere Förderung von lernschwachen Kindern effizienter wäre. Zudem würde man den Jugendlichen viel Frust ersparen. "Wenn ich in der Schule damals mehr Unterstützung bekommen hätte, hätte ich den Abschluss geschafft, vielleicht sogar den Quali", glaubt Menekse. "Jetzt sitz' ich mit fast 18 immer noch hier. Das tut schon weh."

© SZ vom 16.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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