Vertonung:Mit Tatütata in den Gehörgang rein

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Die Schauspieler Johanna Bittenbinder, Heinz-Josef Braun und Stefan Murr vollenden im Tonstudio ihren zweiten Insektenkrimi auf Bairisch. Alleine mit Sprech- und Singstimme schaffen sie es, im Kopf junger und auch älterer Zuhörer einen vergnüglichen Film ablaufen zu lassen

Von Hubert Grundner

Bluad, Bluad, Bluad, des schmeckt guad! Bluad, Bluad, Bluad, des schmeckt guad!" In einem fort skandiert der Chor der Stanzen den Reim. Der schrille Stechmücken-Gesang sägt sich den Weg frei zwischen den Trommelfellen des Zuhörers. Der denkt unweigerlich: Die versoffenen Biester mit den spitzen Rüsseln sind echt am Durchdrehen.

Heinz-Josef Braun und Stefan Murr sitzen am Aufnahmepult des Tonstudios, das Braun im Keller seines Hauses in Grünwald eingerichtet hat. Ihre aktuelle Hörbuchproduktion von "Käfer Mary und Graf Bremsula" ist kurz vor Fertigstellung. Jetzt ist Feinarbeit angesagt. Ihre Blicke wandern zwischen dem gedruckten Manuskript und den Computermonitoren, wo Ablaufschema und Audiodateien eine verwirrende Grafik bilden. Nicht so für Braun, mit einem Mausklick ist er an der gesuchten Stelle der Aufnahme: "Do is da Hubsi, das ist die Nummer 56", murmelt er, und Murr fällt mit ein: "Hubsi, Hubsi, 56, 55", und plötzlich klingt Hubsi der Grashüpfer wie ein waschechter Österreicher. Inzwischen hat Braun aus ein Mikrofon geholt, baut es in der schallgedämmten Aufnahmekabine auf. Dort verschwindet Murr, die Tür schließt sich mit einem tiefen, schmatzenden Geräusch hinter ihm.

Murrs Stimme ist jetzt nur noch dünn und kratzig aus dem Kopfhörer zu hören, den sich Braun für die Aufnahme aufgesetzt hat. "Tatütata, tatütata - irgendsowas hast du an der Stelle gesagt", teilt er Murr mit. Er solle es doch mehr singen und auf der letzten Silbe mehr betonen. Vier, fünf Versionen werden eingespielt, bis beide mit dem Ergebnis zufrieden sind.

Und so bewegen sie sich vorwärts und rückwärts durch den fast fertigen Krimi, fügen hier einen Satz ein, kürzen dort etwas, schaffen logische Übergänge in der Erzählung. Was dem Laien als chaotisch und zufällig erscheinen mag, ist in Wirklichkeit zielstrebiges Arbeiten. Gut zu beobachten beim Auftritt einer anderen Figur: des Mücken-Revoluzzers, den Braun und Murr noch pointierter hinbekommen wollen.

Murr spricht auch diese Rolle. Als müsste er nur einen Schalter umlegen, berlinert der Bad Tölzer los. "Na det is mal wieder typisch: Kaum hat der Graf ein bisschen Auaaua, weeßte, geht hier voll die Lutzi ab, mit Pauken und Trompeten und Tatütata. Ick fordere: Gleichberechtigung auch bei Tatütata! Wah?" Das Ergebnis gefällt offenbar, jedenfalls giggeln und glucksen Braun und Murr beim Abhören fröhlich vor sich hin. Die Art und Weise, wie diese Passage entstanden ist, sagt auch viel über ihre Arbeitsweise: Aus der von Murr spontan gesprochenen ersten Szene greift Braun einen Satz oder eine einzelne Betonung auf, macht Änderungsvorschläge oder fragt seinen Partner nach Alternativen. Murr geht darauf ein, improvisiert herum, dann nimmt wieder Braun den Erzählfaden auf und spinnt ihn fort. Und plötzlich, ohne dass man so recht weiß wie, steht jedes Wort an der richtigen Stelle, ist der treffende Ausdruck gefunden, stimmen Rhythmus, Tempo und Farbe der Sprechstimme.

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(Foto: Robert Haas)

Blutsauger-Duo: Die Schauspieler Johanna Bittenbinder und Stefan Murr im Tonstudio von Heinz-Josef Braun (hinten).

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Dabei werden jede Menge Instrumente gebraucht,...

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

...wie auch das Schlagzeug.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Bairisch bevorzugt: Herausgebracht und vertrieben werden die Insektenkrimis von Werner Schultheiss,...

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

...der selbst auch Musiker ist.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Dialekt spielt in den Hörbuchproduktionen eine zentrale Rolle.

Das alles kommt sehr leichtfüßig daher. "Die Arbeit mit Stefan ist völlig blockadefrei - und das ist ein großes Geschenk", sagt Braun. Ähnlich äußert sich Murr, von dem ein Großteil der Krimi-Texte stammt: "Das Schreiben war ganz neu für mich, mir eigentlich völlig fern. Aber es funktioniert zum Glück. Das hängt aber sehr von der jetzigen Konstellation ab. Wir geben uns gegenseitig die nötige Sicherheit", erwidert er das Kompliment. Johanna Bittenbinder, die Frau von Heinz-Josef Braun, bringt die Kreativgemeinschaft der zwei Männer schließlich auf den Punkt: "Bei den beiden flutscht es einfach. Bestimmte Sachen gehen halt nur mit bestimmten Leuten."

Zu dritt erzählen sie eine so spannende wie lustige Geschichte, in der die Akteure sehr klein sind, die Fantasie aber riesengroß ist: Der Sommer ist verregnet, die Urlauber bleiben aus, die Stimmung könnte nicht schlechter sein bei Graf Bremsula und seinen Untertanen, denn nirgendwo ist ein Tropfen Menschenblut abzuzapfen. Also fallen Obervampir Bremsula und sein Plagegeister-Heer kurzerhand über andere Insekten her. Auf der Almwiese, wo alle daheim sind, herrscht deshalb der helle Aufruhr. Da kann nur eine helfen - Käfer Mary. Nach der Begegnung mit der Kakerlaken-Mafia ist es der zweite Fall, den sie mit ihren Freunden löst.

Die Idee zu den Insektenkrimis aus Bayern mit Musik stammt von dem Hörfunk-Redakteur Kai Frohner. Er ermutigte Braun und Murr, das Projekt in Angriff zu nehmen. Als Gast und Sprecherin - unter anderem - der Hauptfigur Mary kam dann Johanna Bittenbinder hinzu. Die Hörbuch-Produktion stellt inzwischen fast so etwas wie ein zweites berufliches Standbein dar. Denn bekannt geworden sind die drei ursprünglich als Schauspieler: Braun und Murr wirkten beispielsweise bei Marcus Rosenmüllers Erfolgsfilm "Wer früher stirbt ist länger tot" mit. Johanna Bittenbinder wiederum beeindruckt immer wieder mit Filmauftritten wie in dem Niederbayernkrimi "Sau Nummer vier" oder dem Tatort "Der Traum von der Au". Deshalb ist eine Lesung mit ihnen stets mehr als das. "Bei uns ist es eher ein Live-Hörspiel. Das ist der Terminus, auf den wir uns geeinigt haben", erklärt Braun lachend. Davon überzeugen kann man sich Anfang Oktober, wenn er und seine Mitstreiter die fertige CD im Mathäser-Kino vorstellen. Dann wird auch das Lied der "Matz von Zeckenstein" zu hören sein, mit dem sie ihrem Gspusi Graf Bremsula den Laufpass gibt. Soviel sei verraten: Die Zuhörer können sich auf eine Beleidigungsballade freuen, bei der sich selbst Dialekt-Kenner wundern dürften, über welch schier unerschöpfliches Reservoir an übler Nachrede, saftigen Schimpfwörtern und fiesen Frotzeleien das Bairische verfügt.

Herausgebracht und vertrieben werden die Insektenkrimis von Werner Schultheiss, der im Westend den Musik- und Hörbuchverlag "Rec Star" betreibt. Angefangen hatte die Kooperation mit Braun und Murr 2009, als diese sich klassische Märchen vornahmen, neu erzählten und im Dialekt aufsprachen. "Das hat halt super in mein Verlagsprogramm gepasst", erinnert sich Schultheiss. Zu seinen Kunden gehörten damals bereits Richard Oehmann und Josef Parzefall, die sich mit "Doctor Döblingers geschmackvolles Kasperltheater" längst Kultstatus erspielt haben. Dass er heute relativ viele Dialekt-Hörbücher anbietet, hat sich zwar fast absichtslos entwickelt. Doch wichtig ist es dem Verleger sehr wohl, das Bairische zu pflegen, zumal immer weniger Kinder noch Dialekt sprechen. Gerade bei einer Produktion wie dem Insektenkrimi zeigen sich für Schultheiss die Vorzüge des Dialekts: "Er hat Farbe, er hat Kraft - da schlafen dir halt nicht die Füße ein." Wobei er aber zu bedenken gibt: "Es ist schwierig, für ein bayerisches Hörspiel geeignete Leute mit Potenzial zu finden." Umso mehr empfindet er die Zusammenarbeit mit Johanna Bittenbinder, Heinz-Josef Braun und Stefan Murr als Glücksfall. "Das Stück lebt durch die drei Sprecher, die ihrerseits äußerst authentisch wirken", sagt Schultheiss. Hinzu komme eine freche, fantasievolle Geschichte, gepaart mit anarchischem Witz, die die Kinder in Bann schlägt. Aber auch Erwachsene finden Vergnügen an dem Insektenkrimi. Teils, weil die Erzählung auf einer zweiten Ebene funktioniert, die den älteren Hörer interessiert. Teils, weil die Vorlese-Situation bei dem einen oder anderen vermutlich Erinnerungen an die Kindheit weckt. Mit Sicherheit spielt aber der Dialekt eine wichtige Rolle als Auslöser eingeprägter Gefühle und Assoziationen. Doch Werner Schultheiss, der nicht nur Verleger, sondern auch Musiker und Studiobetreiber ist, fällt es schwer, dessen Wesen zu beschreiben. "Bairisch klingt entspannt, es ist nicht so scharfkantig", versucht er die Wirkung dieses Klangs zu erklären. Nach längerer Pause fügt er beinahe verlegen hinzu: "Es vermittelt Heimeligkeit, es nimmt dich noch stärker in den Arm."

Am Dienstag lesen Sie: Der Sound der Stadt an der Isar

© SZ vom 29.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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