Vernissagen, bei denen Gäste länger bleiben:Von den Socken

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Hubertus Reygers in seinem typischen Outfit: Leicht auffällig, gerne in Cord gekleidet und natürlich mit einer alten Uhr am Handgelenk. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Vom brutalen Überfall bis zum erfolgreichen Kampf für die Pinakothek der Moderne: Hubertus Reygers hat Höhen und Tiefen erlebt, seit er vor 25 Jahren Münchens erste Fotogalerie eröffnet hat. Besuch bei einer auch optisch prägnanten Figur der Münchner Gesellschaft

Von Philipp Crone

Als er den Schalldämpfer auf der Pistole sah, wusste Hubertus Reygers, was los ist. Keine Amateure. Profis. Schalldämpfer bedeutet vor Gericht: bedingte Tötungsabsicht. Der Jurist, Galerist und Jäger würde keinen Widerstand leisten. Er und seine Frau wurden in der Galerie überfallen, beide gefesselt, er brutal geschlagen. Trotzdem gelang es ihm auf Anweisung der Diebe, mit zusammengebundenen Händen auf dem Rücken den Tresor beim ersten Versuch zu öffnen. Das Zahlenschloss blind zu drehen, obwohl er immer wieder in der Hocke ausrutschte, weil die Platzwunde auf seiner Stirn den Holzboden mit Blut volltropfte.

Das ist nun fast zehn Jahre her. Reygers sitzt in seinem Büro an der Widenmayerstraße, blickt auf den selben Tresor hinter dem Schreibtisch, dann raus auf die Bäume an der Isar und lächelt.

Manche Menschen erholen sich von so einem Erlebnis nie wieder. Reygers schon. Der 59-Jährige hat in seinem Leben harte Momente erlebt. Momente, in denen man denkt: Wie soll es jetzt weitergehen? Reygers hat gelernt: Es geht weiter. Über einen Mann, aus dem eine markante Münchner Gesellschaftsfigur wurde, zu dessen Vernissagen die Society kommt. Ein Mann, der die Stadt verstanden hat.

Orange Socken leuchten auf, wenn Reygers die Beine in der Cord-Hose übereinanderschlägt, darüber trägt er ein grünes Sakko zu einem weißblau gestreiften Hemd. Aus dem zigarrenbreiten Schnurrbart sagt er: "Die meisten Leute haben ja keinen Geschmack." Der Satz eines Münchenkenners? Eines Mannes, der nach jahrelangem Menschenstudium die Unsicherheit kennt, die in einer Society herrscht, bei der noch immer Grundstücke und Sportwagen als Zeichen für Stil und Erfolg stehen. "In München ist Geld ein Riesenthema." Sagt ein Mann, der in Düsseldorf zur Welt kam, im Neureichen-Ambiente aufwuchs, dessen Großvater Ländereien von der Größe Hunderter Fußballfelder besaß und der seit nunmehr 25 Jahren in seiner Galerie wertvolle Uhren, Schmuck und Fotos an Leute verkauft, die keinen Geschmack haben.

Was natürlich nicht stimmt. Aber ein guter Verkäufer ist eben auch derjenige, der seinen Kunden klar macht, wer bei diesem Geschäfts-Duett Ahnung hat: der Mann in der Cordhose. Selbstsicherheit gefällt in Gesellschaftskreisen, in denen es schwer ist aufzufallen, weil die vermeintlich wichtigen Dinge alle nur einfach besonders viel Geld kosten.

Reygers entstand nach dem Überfall ein Schaden von Hunderttausenden Euro, und ahnte nicht, dass es noch schlimmer kommen würde. Vor Gericht. Seine Versicherung zahlte nicht. Ein Überfall mit Pistole, aber er hatte seine Uhren nicht richtig aufgelistet, sagte die Versicherung. Sogar die Polizei war skeptisch. Den Tresor geöffnet mit den Händen hinter dem Rücken? Er musste es nachmachen, die Hände mit einem Schal verbunden.

Reygers schlägt die Hosenbeine andersrum und zieht unter einem Adelsmagazin eine Ausgabe der BILD hervor. Ein Foto, Schwabinger Anwohner vor Bäumen, die gefällt werden sollten. "Ich sah morgens auf die Straße und sah, dass die Bäume mit gelben Punkten markiert waren." Der Jäger weiß, was die Punkte bedeuten: zum Fällen freigegeben. Er lief runter, und parkte seinen Wagen direkt unter den markierten Bäumen. Am nächsten Tag stand das in der Zeitung, die Bäume stehen noch. "Ich mache ja seit 40 Jahren Presse-Arbeit", sagt Reygers. Ein Ordner voller Zeitungsausschnitte zeugt davon. Und auch davon, wie fein sich der Mann inszeniert, durch sein Outfit und durch seine Aktionen. Münchner eben. Der weiß, worauf es hier ankommt: die richtigen Verbindungen zum Beispiel. Und wie man sich die aufbaut, hat er schon von seinem Großvater gelernt.

Der bewirtschaftete riesige Flächen in Ostdeutschland. "Die Familie teilte sich einen See mit dem Prinzen Lippe, der später Juliana von Holland geheiratet hat." Die Society des frühen 20. Jahrhunderts, das war der Adel, und wer einen Zugang zu ihm hatte, dem ging es gut. Die Großmutter brachte dann auch noch Rittergüter in die Ehe ein, im Jahr 1945 waren die aber dahin. "Meine Großeltern sind in den Westen getrackt, da haben sie schon das Geschützfeuer der Russen gehört." Zur Cousine nach Westfalen, mit einem kleinen Stück Land fingen sie neu an. "Die umliegenden Bauern hatten viel mehr, aber meinen Großvater haben sie verehrt, er hatte so eine Aura." Eine, die Reygers auch gerne hätte?

Sein Vater musste mit 17 im Zweiten Weltkrieg an die Ostfront, kam nach einem Jahr russischer Gefangenschaft todkrank nach Hause. Wie sollte es weitergehen? Mit dem Studium in Düsseldorf, dem Kennenlernen einer Frau aus altem Adel, und so wuchs Hubertus Reygers am Rhein auf zwischen der Sehnsucht, dazuzugehören, und der Tatsache, nur in einer Etagenwohnung zu leben. In welcher Umgebung lernt man besser, sich geschickt zu verhalten, zu vermarkten, zu positionieren, als in dieser? Reygers ging erstmal aufs Gymnasium und scheiterte, "Spätstarter". Er kam auf die Hauptschule, "mit dem Bodensatz der Gesellschaft". Hauptschule, und das bei der Uradel-Mutter. Den Abschluss schaffte er und ging gleich wieder aufs Gymnasium. Nebenbei jobbte er in einem Herrenmodegeschäft am Wochenende, um mit den Söhnen der Neureichen auch mal einen Abend losziehen zu können. "Danach war ich allerdings immer pleite." Er hat an solchen Abenden trotzdem dazugewonnen, kein Geld, aber dafür Kontakte. Und er erkannte seine Stärken und Schwächen. Geld gab es nicht so viel, dafür konnte er überzeugen, "ich habe mir noch nie etwas gefallen lassen", außer von einem Vermummten mit Pistole. Reygers studierte Jura, dann kam die Kunst. Und die Jagd. Ländereien, Landleben, Country-Adel, der Jagdschein gehört dazu. Reygers hat heute eine Jagd in Röhrmoos, wo er einmal die Woche den Abend verbringt, nach zehn Stunden im Büro. Die beiden Söhne sind aus dem Haus, seine Frau, Kunsthistorikerin, schießt nicht mit.

Abdrücken, auf den richtigen Moment warten. 1985 zum Beispiel, da war der Moment für ein Geschäft mit alten Uhren.

Ein Freund hatte Reygers noch als Schüler mal in England zu Antiquitätenmessen mitgenommen. Sie kauften Fliegeruhren der Royal Air Force, "kistenweise", und verkauften sie mit ordentlich Gewinn. Also baute Reygers, als er 1985 zum Referendariat nach München kam, einen Antiquitätenhandel auf. 1990 wurde daraus zudem eine Foto-Galerie, die erste in der Stadt. Heute gibt es Dutzende. Seine erste Vernissage hieß: Uhren und Huren. Nackte Frauen, so bringt man sich ins Gespräch. Pressearbeit, die potente Kundschaft locken. Später auch durch ein Benefizkonzert. Zusammen mit Marie-Christin Gräfin Huyn, die damals gerade Chefin des Auktionshauses Christie's in München geworden war, warb Reygers für ein Konzert, dessen Einnahmen dem Bau der Pinakothek der Moderne zu Gute kommen sollten. Huyn war zu dem Zeitpunkt bereits gut vernetzt in den besseren Kreisen. Der Adel kam, die Zeitung schrieb. Reygers wurde bekannt, Käufer für alte Uhren wurden mehr, die Gäste seiner Vernissagen auch.

Marie Waldburg von Bunte, schon damals Gesellschaftsreporterin in München, sagt: "Ich mag seine Einladungen, die sind immer auch Kontaktpflege, und die Leute bleiben gerne länger." Weil Reygers einen guten Humor habe. Und ein gutes Gefühl für die Bewohner dieser Stadt.

Reygers duzt die meisten seiner Kunden. "Hubertus ist idealistisch", sagt Huyn von Christie's. Idealismus verkauft sich gut an der Isar. "Eine richtige Münchner Figur ist er, dabei ist er gar nicht münchnerisch mit seinem Schnurrbart."

Die Pinakothek wurde gebaut, weitere Konzerte wurden gesponsert von Bulgari etwa oder MontBlanc. Reygers lernte: Engagiere dich für die Stadt, knüpfe Kontakte, nimm dich nicht zu wichtig oder zeige es zumindest nicht, falle nur so auf, dass niemand seine eigene Bedeutung in Gefahr sieht, dann wird das was. "Es geht um Understatement und ein Gesprächsthema", sagt Reygers und meint nicht sich, sondern seine alten Fliegeruhren, seine Foto-Vernissagen und ihre Beliebtheit.

Reygers wird eingeladen und lädt ein, seit 25 Jahren. Auch an diesem Dienstag wieder, wenn die Bilder der Fotografin Jasmine Rossi gezeigt werden, bei Wein und Käse. Er empfängt dann wieder, in seiner knalligen Kluft des Landadels. Hubertus Reygers hält Hof.

© SZ vom 23.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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