Verkrustete Strukturen:Weniger Freiräume als Jungs

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Sabine Wieninger vom Verein Imma erklärt, warum die Aktionen zum Welt-Mädchentag auch in München wichtig sind

Interview von Kathrin Aldenhoff

Zwangsheirat, sexuelle Gewalt, Beschneidung - seit 2011 gibt es den Internationalen Mädchentag, um auf diese Probleme aufmerksam zu machen. Wie die Situation der Mädchen in München ist, darum geht es an diesem Freitag von 14 bis 18 Uhr auf dem Marienplatz. Sabine Wieninger vom Verein Imma für Münchner Mädchen, hat die Aktion mit dem Frauengesundheitszentrum und Amanda, einem Projekt für Mädchen und junge Frauen, organisiert.

SZ: Inwiefern ist ein Mädchen, das heute zehn Jahre alt ist, gegenüber einem gleichaltrigen Jungen benachteiligt?

Sabine Wieninger: Mädchen sind zum Beispiel viel häufiger von sexueller Gewalt betroffen, insbesondere innerhalb der Familie. Sie ist für viele Alltag. Sie werden sexistisch angemacht, angegrapscht, Männer fotografieren mit ihren Handys unter ihre Röcke. Manche werden über Jahre hinweg sexuell missbraucht. Oft von einer nahestehenden Person. Und Mädchen sind aufgrund ihrer Erziehung immer noch viel angepasster und haben weniger Selbstvertrauen. Weil es von ihnen als Mädchen erwartet wird, müssen sie in der Familie mehr Aufgaben übernehmen als Jungs. Sie helfen im Haushalt, passen auf die Geschwister auf. Und sie haben weniger Freiräume. Jungs dürfen sich ausprobieren, Mädchen eher weniger.

Zeichen setzen: 2015 wurde zum Welt-Mädchentag das Karlstor pink angestrahlt, dieses Jahr gibt es einen Aktionstag auf dem Marienplatz. (Foto: Robert Haas)

Was erwarten wir von Mädchen heutzutage?

Viele haben immer noch ein festes Bild davon im Kopf, wie Mädchen zu sein haben. Das sind zum Teil auch widersprüchliche Anforderungen. Natürlich ist der Leistungsanspruch heute an alle sehr hoch, aber Mädchen müssen vieles gleichzeitig erfüllen: Sie sollen klug und erfolgreich sein, aber auch attraktiv und sexy. Viele passen sich stark an, weil sie sonst das Gefühl haben, nicht mithalten zu können. Und Zugehörigkeit ist in dieser Altersgruppe extrem wichtig.

Und was ist mit den Jungs? Fühlen die sich nicht unter Druck?

Die Jungen haben natürlich auch ihre Themen. Die müssen sich mit den Männlichkeitskonzepten herumschlagen, damit, was von ihnen als Junge erwartet wird. Sie brauchen auch Unterstützung. Und sie brauchen vor allem männliche Vorbilder, die ihnen etwas anderes vorleben als dieses geschlechtsstereotype männliche Verhalten. Dass ein Mann nur ein toller Mann ist, wenn er aggressiv ist und wenn er Frauen abwertet.

Sabine Wieninger leitet den Verein Imma, der sich für Mädchen in München einsetzt. Viele erlebten im Alltag Sexismus und sexuelle Gewalt. (Foto: privat)

Erkennen die Mädchen, dass sie in vielen Dingen immer noch benachteiligt sind?

Auf den ersten Blick wirkt es so, als hätten wir die Gleichberechtigung erreicht. Als könnten Frauen heute alles machen. Aber es ist de facto nicht so. Und es ist wichtig, den Mädchen das zu spiegeln. Ihnen zu sagen, dass es nicht an ihnen liegt, wenn sie etwas nicht schaffen. Sondern an den verkrusteten Strukturen oder an den traditionellen Bildern in unseren und ihren Köpfen, die sie begrenzen.

Was muss sich in unserer Gesellschaft ändern?

Da gibt es noch viel zu tun. Zum Beispiel haben wir noch nicht das Selbstverständnis, dass Sorgearbeit für Kinder oder alte Menschen von beiden Geschlechtern getragen wird. Der Knackpunkt in der Biografie junger Frauen ist oft der Moment, wenn sie Kinder bekommen. Dann merken auch diejenigen, die es bis dahin noch nicht wahrgenommen haben, wie sehr die Verantwortung für Kinder, Hausarbeit und dafür, alles unter einen Hut zu bringen, immer noch bei den Frauen liegt. Gewalt gegen Frauen und Mädchen gehört außerdem viel mehr in den öffentlichen Diskurs und ist ein Skandal. Es braucht noch viel mehr Sensibilität dafür und Unterstützungsangebote für die Betroffenen. Es hat sich zwar schon vieles verändert, aber vieles ist gleich geblieben.

© SZ vom 11.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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