Vandalismus in St. Georg:Ohnmächtig in Milbertshofen

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Verschmierte Wände, Störer beim Gottesdienst und Jugendliche, die ins Weihwasser-Becken pinkeln: St. Georg in Milbertshofen hat mit Vandalismus zu kämpfen. Die Mitglieder der Kirchengemeinde sind empört, fassungslos - und machtlos.

Thomas Kronewiter

Diesen Schreck wird Anton Peter so schnell nicht vergessen. Wasser in der Kirche, Wasserflecken an der Wand, eine Luftfeuchtigkeit von nahezu 100 Prozent - der Vorsitzende des Fördervereins Alte St.-Georgs-Kirche war geschockt, als er am Mittwoch in der historischen Milbertshofener Georgs-Kapelle nach dem Rechten sah.

Inzwischen "ist eine Grenze überschritten". Olivier Ndjimbi-Tshiende, der Pfarrer der Milbertshofener Kirche St. Georg, hat sich wegen des Unfugs von Jugendlichen - selbst Taufbecken wurden verschmutzt - mit einem Hilferuf an den Bezirksausschuss gewandt. (Foto: Robert Haas)

Neben der Beschädigung von Innenraum und Mauerwerk braucht Milbertshofens wertvollstes Kulturgut, der 500 Jahre alte St.-Georgs-Altar, permanent 60 bis 80 Prozent Luftfeuchtigkeit. Die Einhaltung überwacht akribisch das Landesamt für Denkmalpflege. Und jetzt das! Man werde Tage brauchen, um das trocken zu bekommen. "Vandalismus pur", schimpft Peter und zuckt die Achseln. Eine Geste der Hilflosigkeit.

Die Ursache des Wassereinbruchs hat Peter auf dem Dach entdeckt. Die Ziegel seien auf einer Fläche von rund einem Quadratmeter zerbrochen oder verrutscht gewesen, Regen sei so ungehindert ins Innere der Kirche geflossen. "Hinter einer Verblendung", berichtet das 71-jährige Mitglied der Kirchenverwaltung, "haben wir einen alten Teppich gefunden". Eine zufällig vorbeikommende Passantin habe ihn dann aufgeklärt: "Das waren junge Leute, die klettern immer zum Sonnenbaden auf das Dach."

Peter hat Anzeige erstattet. Endlich, nach einer langen Reihe von Vorfällen rund um die Pfarrkirche am Milbertshofener Platz und die Kapelle am Alten St.-Georgs-Platz wenige hundert Meter weiter nördlich. Die Auflistung hat mittlerweile zu Berichten in Zeitungen geführt, zum Aufmarsch von Fernsehteams, zu Diskussionen im Bezirksausschuss. Auch Stadtratsmitglieder sind schon aufmerksam geworden.

Nicht nur der sattsam bekannte Unfug bereitet Ärger, die Schmierereien an der Kirchenwand und -mauer, die eingekratzten Initialen an der Tür. Darüber hinaus sieht sich die Kirchengemeinde regelrecht im Belagerungszustand. Immer wieder muss sie erleben, dass Gottesdienste durch hereinstürmende Kinder und Jugendliche gestört werden. Die jüngste Heimsuchung geschah bei einer Trauung. Ein andermal seien junge Leute ertappt worden, wie sie an die Kirchentür uriniert hätten.

Auch das Weihwasser wurde verunreinigt: Mehrfach hätten die Übeltäter in das versteckt in einer Seitennische hängende Becken gepinkelt, berichten Mitglieder der Kirchenverwaltung. Und einmal habe man erlebt, wie Kinder Zeitungspapier in der Kirche angezündet hätten. Die angekohlten Reste hat der Pfarrer noch immer im Büro.

Olivier Ndjimbi-Tshiende sitzt in seinem Pfarrhaus und lächelt. Der aus dem Kongo stammende Pfarradministrator von St. Georg hat den Stein ins Rollen gebracht mit seinem Hilferuf an den Bezirksausschuss. "Das war die beste Aktion", sagt der Seelsorger in seinem präzisen, mit leichtem Akzent gefärbten Deutsch. "Wir wollen ins Gespräch kommen, so aber bewahren wir zugleich den Frieden."

Man habe nichts gegen spielende Kinder auf dem gerade im Sommer sehr belebten und beliebten Platz. Aber inzwischen, sagt der Seelsorger, sei eine Grenze überschritten. Er spricht von "Respektlosigkeit", Mitarbeiter und Ehrenamtliche drücken sich drastischer aus.

Mittlerweile, berichtet der Pfarrer, habe er den Vater des Jungen, den man mit der brennenden Zeitung angetroffen habe, einen Besuch abgestattet. Das sei zweifellos ein Deutscher gewesen, sagt Ndjimbi-Tshiende. Der Vater habe entsetzt reagiert über die Tat seines Sohnes. "Es sah aus, als wäre er bereit, gewalttätig zu werden", erinnert sich Ndjimbi-Tshiende. Er habe ihn gebeten, auf drastische Strafen zu verzichten: "Man muss erklären, warum das und jenes getan werden muss." Seitdem, bemerkt der Pfarrer leicht ironisch, "hat es tatsächlich keinen Brand mehr gegeben".

Pfarrer Ndjimbi-Tshiende beunruhigt, dass auch sehr junge Jugendliche sich an den Umtrieben beteiligen. Zehn- bis Zwölfjährige habe man schon beobachtet. Das Sperrgitter an der Emporen-Treppe musste nach unten verlängert werden, weil Jüngere unter dem Gitter hindurch schlüpften und das Notenmaterial des Organisten verstreuten. Bestimmte Gruppierungen kann die Gemeinde nicht ausmachen. Deutsche wie Nichtdeutsche seien gleichermaßen beteiligt.

Edip Güven nimmt diese Schilderung äußerlich ruhig zur Kenntnis. Güven ist Sozialarbeiter, Projektleiter des in Milbertshofen erfolgreichen Nightball-Projekts, das junge Leute zu später Stunde in der Sporthalle zum Ballspielen animiert - wo sie auch mit Betreuern über Probleme reden können, statt ihren Frust auf der Straße oder an Kirchenmauern abzulassen.

Dabei, erklärt Güven, liege vielen Jugendlichen eigentlich schon an traditionellen Werten. Religion spiele eine wichtige Rolle. Aber: "Die eigenen Werte - christlich, national, rechts - werden überzogen hochgehalten." Wenn sich Cliquen mit einer eigenen Gruppensolidarität bildeten und bei Nacht-Aktionen auch die Anonymität gewährleistet sei, lebe man eben "Spaß an der Zerstörung" aus. Der Milbertshofener Platz sei schon immer ein Brennpunkt gewesen. Dort gebe es mitunter auch Kiffer und Dealer.

Helmut Gmeinwieser seufzt. Gerade hat der Leiter des Milbertshofener Stadtteilzentrums an einer Runde mit Sozialarbeitern der unterschiedlichsten Träger teilgenommen. Er kennt die jungen Leute, er kennt die Probleme. Und er kann viele Weichenstellungen in der Stadt nicht verstehen, das oft "kurzsichtige Handeln". Am Ackermannbogen habe man jahrelang verzweifelt um einen Jugendtreffpunkt kämpfen müssen. Dabei sei doch klar gewesen, "dass die vielen kleinen Kinder dort irgendwann Jugendliche sind".

Vor einigen Wochen habe sich eine neue Streetworkerin des Sozialreferats in Milbertshofen vorgestellt. "Seitdem haben wir sie nicht mehr gesehen", sagt Gmeinwieser. Das solle kein Vorwurf sein: Die Kollegen hätten zu viel zu tun, auch in Schwabing oder in der Siedlung am Ackermannbogen müssten sie Präsenz zeigen.

Langjährige Kollegen freier Träger, die in den vergangenen Jahren Sparrunde über Sparrunde hätten über sich ergehen lassen müssen, engagierten sich trotzdem weiterhin. Sein Träger, der Verein Stadtteilarbeit, habe sogar die Angebote ausgebaut. Irgendwann aber frage man sich angesichts fortdauernder Selbstausbeutung: "Bin ich eigentlich blöd?"

Gmeinwieser verweist auf den Erfolg von "Nightball" in Milbertshofen. Bei den abendlichen Treffen in der Turnhalle der Schleißheimer Schule kämen im Jahr 7000 Teilnehmer. Dazu motiviere sie Edip Güven, der in der Woche zwei bis drei Mal durch das Viertel fährt und die Treffpunkte aufsucht. Aber dann, sagt Gmeinwieser bitter, müsse man erleben, wie das zuständige Referat dem Stadtrat neue Kriterien für die Turnhallennutzung vorschlage - zu Lasten der Jugendarbeit.

Die Nightball-Projekte, die in Zwei- oder Dreifach-Hallen beheimatet seien, müssten dort raus. "Von den elf Projekten in der Stadt sind fünf gefährdet." Ein erwiesenermaßen erfolgreicher Ansatz, junge Leute anzusprechen, die man mit traditionellen Vereinsaktivitäten oder organisiertem Sport nicht erreiche, werde so torpediert: "Wenn ich das dann höre, bin ich fassungslos."

Natürlich wird sich Edip Güven auch des neuen Problems rund um St.Georg annehmen. Mit seinem Fahrrad wird er jetzt öfter den Milbertshofener Platz ansteuern. "Ich bin sicher, wir kennen die Jungs." Pfarrer Ndjimbi-Tshiende hat zuletzt auch Streifenwagen patrouillieren sehen in der Dunkelheit.

Anton Peter langt es trotzdem. "Ich habe so 'nen Frust." Auf den 100. Geburtstag der Pfarrkirche im nächsten Jahr hat er keine rechte Lust mehr. Peter denkt daran, seine Ehrenämter niederzulegen. "Ich kann nicht mehr ertragen, wie die Zerstörungswut sich Bahn bricht."

© SZ vom 01.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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