Es ist in diesem Verfahren viel um Zahlen gegangen, um die exakte Größe von Balkonen und darum, um wie viel Euro die Miete pro Quadratmeter Wohnfläche steigen darf. Am Ende aber ging es um sehr viel mehr. Darum, ob die Mieter im Hohenzollernkarree bleiben können oder ob sie vielleicht eines Tages gehen müssen, weil sie sich ihre Wohnungen nicht mehr leisten können. Um 13.20 Uhr am Dienstagnachmittag schließlich steht fest: Sie werden bleiben können. Der Mieterverein München hat an diesem Tag vor dem Oberlandesgericht einen richtungsweisenden Sieg für seine Klienten errungen. Das Urteil ist bundesweit bedeutsam, weil es sich um die erste Musterfeststellungsklage im Mietrecht handelte.
Am 27. Dezember vergangenen Jahres hatten die Mietparteien von ihrem Vermieter, der Max-Emanuel Immobilien GmbH, eine Modernisierungsankündigung bekommen. Linda Strehl zum Beispiel, die seit neun Jahren in einem der Häuser der Anlage wohnt. Er wolle das sogenannte Hohenzollernkarree in Schwabing mit seinen 230 Wohnungen "an eine zeitgemäße Wohnsituation anpassen", schrieb der Eigentümer. Mit Wärmedämmungen, einem Austausch der Fenster und Wohnungseingangstüren, mit Rollläden und Balkonanbauten. Baubeginn solle im Dezember 2019 sein, die Kosten würden nach Abschluss der Maßnahmen zu elf Prozent auf die Mieter umgelegt - mit der Konsequenz, dass sich für viele die Miete dauerhaft nahezu verdoppeln würde. Bei Linda Strehl sollte die monatliche Zahlung von 715 auf 1411 Euro kalt steigen. "Das könnte ich nicht bezahlen", sagt Strehl, die als freie Lektorin arbeitet. In dem Schreiben war zwar auch die Rede von Härtefallregelungen, kein Mieter solle seine Wohnung verlassen müssen, hieß es. Trotzdem ging von da an die Angst um unter den Bewohnern. 200 von den 230 Mietparteien waren betroffen. In einem Extremfall sollte die Mietsteigerung 163 Prozent betragen.
Bis Ende vergangenen Jahres waren solche enormen Steigerungen möglich und völlig legal - wegen einer gesetzlichen Regelung, nach der ein Vermieter elf Prozent der Modernisierungskosten auf die Mieter umlegen konnte. Und zwar zeitlich unbegrenzt, also auch dann noch, wenn sich die Kosten längst amortisiert hatten. Seit Januar dieses Jahres gilt allerdings eine neue Rechtslage. Nun darf ein Vermieter nur noch acht Prozent Kosten auf die Mieter umlegen, in jedem Fall aber höchstens drei Euro pro Quadratmeter innerhalb von sechs Jahren. Deshalb war das Datum der Modernisierungsankündigung in diesem Fall so bedeutsam. Denn sie kam gerade noch rechtzeitig vor der Änderung.
Trotzdem sei sie nicht wirksam, argumentierte der Mieterverein und begründete dies damit, dass die Planungen des Eigentümers zum Zeitpunkt der Modernisierungsankündigung noch viel zu unkonkret gewesen seien. Die entscheidenden Arbeiten sollten erst zwei Jahre später umgesetzt werden.
Vor Gericht ging es also vor allem um diese Frage: Wie weit waren die Planungen im Dezember 2018? Sie sei "total nervös", sagt die Mieterin Linda Strehl vor der Verhandlung, aber sie habe ein gutes Gefühl. Das gesellschaftliche Klima habe sich in den vergangenen Monaten gewandelt, mit der Großdemonstration "Ausspekuliert" im September 2018, mit dem Volksbegehren für einen Mietenstopp in Bayern, das gerade gestartet ist. Der Vorsitzende Richter des Senats für Musterfeststellungsklagen, Nikolaus Stackmann, fühlt zunächst vor, ob ein Vergleich möglich wäre, ob der Eigentümer bereit wäre, die Mieterhöhungen auf drei bis vier Euro pro Quadratmeter zu beschränken. Sechs Euro wären möglich, sagt Rechtsanwalt Wolfgang Stürzer, der den Eigentümer vertritt - weniger nicht. Interessantes Detail am Rande: Auf dieser Seite im Saal sitzt auch der Bielefelder Juraprofessor Markus Artz. Er hat ein Gutachten dazu erstellt, ob die Modernisierungsankündigung wirksam war. Sonst hat er zurzeit eher mit dem Mann auf der anderen Seite des Saales zu tun: Mietervereins-Geschäftsführer Volker Rastätter. Denn Artz hat den Gesetzentwurf für das Volksbegehren Mietenstopp ausgearbeitet.
Der Richter befragt dann sehr ausführlich den Architekten Martin Sorger, der mit den Planungen für die Modernisierung betraut ist. Nach einer Weile beugen sich acht Männer in schwarzen Roben über Din-A1-große Pläne. Es geht nun um das Detail, ob in der Ankündigung die Größe der anzubauenden Balkone korrekt angegeben ist. Für das Urteil spielt das schließlich keine Rolle. "Die Mieterhöhung kann nicht nach altem Recht erfolgen", verkündet Richter Stackmann. Das Gericht habe sich intensiv damit beschäftigt; der Planungsstand im Dezember 2018 habe die Modernisierungsankündigung nicht gerechtfertigt. Die Max-Emanuel Immobilien GmbH habe die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Der Streitwert werde auf 250 000 Euro festgesetzt. Falls der Eigentümer Revision einlegt, würde sie direkt vor dem Bundesgerichtshof erfolgen.
Das Urteil gilt für all jene 145 Mietparteien, die sich in das Klageregister hatten eintragen lassen. Die Erleichterung ist den Mietern nach der Urteilsverkündung anzumerken. Für sie bedeutet es, dass ihre Mieterhöhung deutlich geringer ausfallen wird als angekündigt. Bei Linda Strehl zum Beispiel wird sie höchstens 195 Euro betragen dürfen - statt 696 Euro. Sie will nun erst einmal joggen gehen, die Anspannung weglaufen. Und am Abend wird sie mit Nachbarn feiern. Der Sekt steht schon kalt.