Urteil aus Düsseldorf:Mehr Bürokratie wagen

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Ein Grundsatzurteil aus Düsseldorf hat Folgen für München: Der Bau Tausender Wohnungen verschleppt sich wegen neuer europäischer Vorschriften.

Bernd Kastner

In München droht sich der Bau Tausender Wohnungen stark zu verzögern. Ursache ist ein Gerichtsbeschluss aus Düsseldorf: Kommunale Grundstücke, die an Bauträger gehen, sind künftig europaweit auszuschreiben. Die Stadt sieht darin nicht nur einen Eingriff in ihre Planungshoheit. Auch das Vergabeprozedere werde verlängert, die Kooperation mit den Bauherrn erschwert und die Bürokratie aufgebläht.

Neubaugebiet Arnulfpark: Mehrfamilienhäuser mit Parkanlage (Foto: Foto:)

Beispiel Messestadt: Im vierten Bauabschnitt sollen 900 Wohnungen entstehen. Die städtischen Planer hatten diesmal besonders frühzeitig die interessierten Bauträger mit einbezogen, um gemeinsam das neue Quartier zu gestalten. "Die Beteiligten waren begeistert", sagt Gertrud Hautum, im Planungsreferat verantwortlich für sozialen Wohnungsbau und die Auswahl von Bauherren.

In den vergangenen Jahren hatte sich dieses Miteinander nach und nach entwickelt, die Messestadt sollte die Krönung werden. Man war schon mitten im Verfahren: Jeder sollte seine Ideen einbringen, gemeinsam wollte man einen städtebaulichen Ideenwettbewerb ausschreiben, ehe man alles in einem Bebauungsplan festzurrt.

Doch dann, im Juni 2007, verkündete das Oberlandesgericht Düsseldorf seinen Beschluss - und die Messestadt-Planungen landeten im Papierkorb. "Künftig wird es so laufen, wie es früher immer lief", sagt Hautum. Starr reglementiert und bürokratisch. Der Bau der 900 Wohnungen werde sich um eineinhalb Jahre verzögern. Nicht nur die Münchner raufen sich die Haare, auch der Städtetag sieht die kommunalen Handlungsspielräume "erheblich" eingeschränkt.

Die Düsseldorfer Vergabe-Kammer ist bundesweit maßgebend für Immobiliengeschäfte.Der Kern ihrer Entscheidung lautet: Verkauft eine Kommune ein Grundstück an einen Bauträger, verbunden mit Auflagen, etwa dem Bau von Sozialwohnungen, ist die Fläche im EU-Amtsblatt auszuschreiben. So, wie es auch bei Bauleistungen Pflicht ist, denn mit dem Flächenverkauf gehe ein Bauauftrag einher, so das OLG.

Hautum zürnt: Man habe nichts gegen mehr Transparenz bei der Vergabe oder gar gegen Europa, im Gegenteil. Froh wäre man sogar, wenn neue Bewerber auf den Münchner Markt kämen. Auch bisher habe man jeden Bauträger, der irgendwann einmal Interesse an einem Grundstück an der Isar bekundete, eingebunden. Es ist vielmehr das von Düsseldorf aufgezwungene Prozedere, das die Planer so ärgert. Hautum spricht von einem "Eingriff in die städtische Planungshoheit".

Künftig müsse nämlich vor der Ausschreibung und dem Verkauf städtischer Flächen feststehen, was in einem Neubaugebiet geplant ist: Wo kommt welches Gebäude hin, in welcher Form, mit welcher Nutzung. "Dabei kann man im Vorfeld doch noch gar nicht alles absehen", sagt Hautum. Hat nach der Ausschreibung ein Architekt, ein Bauträger, ein Stadtplaner noch eine gute Idee - zu spät. An den einmal festgelegten Plänen dürfe man nichts mehr ändern. "Oberbürokratisch", nennt Hautum das.

Nicht nur die 900 Messestadt-Wohnungen verzögern sich, auch in anderen großen, neuen Vierteln dürfte sich die Zeitspanne vom Planungsstart bis zum Einzug deutlich verlängern. Da ist zunächst die zeitaufwendige Ausschreibung, und dann die Unwägbarkeit beim Verkauf.

Was passiert, wenn beispielsweise zehn Grundstücke angeboten werden, sich die Interessenten aber nur auf die Filetstücke stürzen und vier unattraktive Parzellen übrig bleiben? Dann muss neu ausgeschrieben werden, und dann vielleicht nochmals, sagt Hautum. Betroffen sind diese Gebiete: Funk-Kaserne (rund 1300 Wohnungen), das ehemalige Werkbundareal (600), Prinz-Eugen-Kaserne (gut 1000), Bayern-Kaserne (mehr als 2000) und womöglich auch Freiham mit 9000 Wohnungen. Um wie viele Monate sich Planung und Fertigstellung verzögern, weiß noch niemand, sicher aber sei, so Hautum: Es dauere länger, der Vergabeprozess werde unberechenbarer.

Und je länger alles dauert, je weniger Wohnungen fertig werden, desto enger wird es auf dem ohnehin angespannten Münchner Wohnungsmarkt, desto stärker steigen die Mieten. Und gerade den geförderten Wohnungsbau für sozial Schwache dürften die Folgen der Richtersprüche treffen: Künftig könne die Stadt zusammen mit ihrer Wohnbautochter Gewofag nicht mehr so flexibel reagieren, um rasch neue Sozialwohnungen zu bauen, klagt Gertrud Hautum. Da ist es nur ein schwacher Trost, dass Projekte auf privaten Grundstücken, etwa auf ehemaligen Bahnflächen, vom Düsseldorfer Urteil nicht betroffen sind.

Gewisse Hoffnungen richten sich allerdings auf die geplante Novellierung des Vergaberechts. Auf Initiative des Münchner Bundestagsabgeordneten Hans-Peter Uhl (CSU) will der Bund die strittigen Grundstücksverkäufe der Kommunen ausdrücklich ausnehmen von den europäischen Vergaberichtlinien. "Da hilft nur noch der Gesetzgeber", sagt Uhl, der die Kommunen blockiert sieht.

Inzwischen hat auch das OLG Düsseldorf selbst reagiert. Die Richter haben ihre eigene Entscheidungen dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Ob die Luxemburger Kollegen die Entscheidungen revidieren, ist aber keineswegs sicher. Hatte doch das OLG Düsseldorf seine Beschlüsse ausdrücklich mit einem früheren Urteil eben jenes EuGH begründet.

© SZ vom 14.10.2008/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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