Urban Priol auf der Anti-Atomkraft-Demo:Was darf Satire?

Lesezeit: 3 Min.

Alles muss auf der Bühne irgendwie raus, findet der Kabarettist Urban Priol. Doch darf Satire wirklich alles? Bei der Anti-Atomkraft-Demo in München eckte der Unterfranke mit seinen Äußerungen über Rainer Brüderle an.

Olaf Przybilla

Es ist nicht ganz einfach, sich mit Urban Priol zu unterhalten, jedenfalls nicht für Leute, die konzentrierte Gesprächspartner bevorzugen. Priol ist einer, der am Weltgeschehen in einer Weise teilnimmt, dass es anstrengend sein kann. Was gerade wo passiert, Priol muss das wissen, und wer ihn beobachtet dabei, wie er gleichzeitig spricht und surft, der glaubt zu sehen, wie da gerade ein neuer Textbaustein für den Abend entsteht.

Er liebt es zu provozieren: Urban Priols Bemerkungen über Wirtschaftsminister Brüderle kamen nicht bei allen Zuhörern gut an, es gab auch viele Pfiffe aus dem Publikum. (Foto: dapd)

Es dürfte keinen Kabarettisten in Deutschland geben, dessen Programme ähnlich aktuell sind. Was Priol eben erst gehört oder gelesen hat, muss auf der Bühne irgendwie raus, notfalls auch unverdaut. "Alles muss raus" hieß auch eines seiner erfolgreichen Programme, aber es blieb schon damals nicht aus, dass man sich fragte: Wirklich alles?

Seit Samstag, seit der Unterfranke auf dem Odeonsplatz in München auf einer Kundgebung vor 40.000 Menschen gegen Atomkraft gesprochen hat, besteht abermals Anlass zu dieser Frage. Es war schon insofern ein besonderer Auftritt des Kabarettisten, weil Priol an diesem Tag ganz gegen seine Gewohnheit kein schrilles Herrenhemd getragen hat und eine vergleichsweise fast normale Frisur. Ein bisschen sah Priol, dem auf der Bühne üblicherweise kunstvoll die Haare zu Berge stehen, dadurch wie ein normaler Redner aus. Und möglicherweise machte das seinen Auftritt für manche der Zuhörer besonders angreifbar an diesem Tag.

Zumindest diese eine Passage, in der Priol mit einem Zitat von Wolfgang Bosbach, dem Innenexperten der CDU im Deutschen Bundestag ansetzte. Bosbach hat vor einem "Rückfall in die Terrorspirale der 70er Jahre" gewarnt, und Priol machte sich am Samstag lustig über diese Warnung vor einer möglichen neuen RAF.

Er höre schon den Stammtisch, wie es dort wummere: "Die hätten heute wieder gut zu tun in Deutschland." Andererseits, sagte Priol, würde für "die Nasen" von heute doch "keiner mehr Lösegeld zahlen", das sei eher schon "was für die Vergnügungssteuer". Einer wie der Brüderle, der "textet die doch so zu, bis die den Kofferraum aufsperren und sagen: Bitte geh', bitte, bitte geh." Es gab Zuhörer auf dem Odeonsplatz, denen der Atem gestockt hat bei diesen Sätzen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Priol sich in einen Bereich des Humors wagt, der sehr an eine Grenze geht, und womöglich darüber hinaus. Als im April 2010 der polnische Präsident Lech Kaczynski bei dem verheerenden Flugzeugunglück in der Nähe von Smolensk ums Leben kam, hatte Priol kritisiert, wie Europas Politiker auf diesen Unfall reagiert hätten. Man heuchele da einem Mann hinterher, der als Störenfried der EU gegolten und bei dem jeder die Augen gerollt habe, wenn er in die Sitzung gegangen sei. "Mit dem wollte eigentlich keine Sau etwas zu tun haben", ätzte Priol. Auf einmal aber, kurz nach seinem Tod, werde dieser Mann "fast zum König verklärt".

Priol hatte das im ZDF gesagt, in seiner Sendung "Neues aus der Anstalt" - und für einen Proteststurm vor allem in Polen gesorgt. Der ZDF-Programmchef sah sich genötigt, in der Sache zu schlichten.

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Muss so etwas, darf so etwas sein? Wer den 49-Jährigen das fragt, erntet Spott. Priol erzählt die Geschichte, dass er vor einem Jahr in der Kaczynski-Sache eine Geheimnummer beantragen musste, weil seine Kinder Drohanrufe entgegennehmen mussten. Dass der Server seiner Agentur zusammenbrach, der Protest-Mails wegen. Dass aber die ganze Aufregung eher einem Übersetzungsfehler einer polnischen Zeitung geschuldet gewesen sei, weil die "das mit der Sau" missverstanden hätten.

Seit 2007 leitet Priol die ZDF-Anstalt, es gibt nicht wenige Kollegen, die das mindestens für eine Überraschung halten. (Foto: N/A)

Priol erzählt das so, als würde er gerade auf der Bühne stehen. Aus der Antwort auf die Frage, ob Humor Grenzen kennen müsse, macht er eine Kabarettnummer, ein bisschen wirkt das zwanghaft. "Ich bin ein Getriebener, das würde ich so gelten lassen", sagt Priol. Und nun die Sache Brüderle? Es mag Kritik daran geben, aber er sehe keinen Anlass, sich dazu zu äußern.

Seit 2007 leitet Priol die ZDF-Anstalt, es gibt nicht wenige Kollegen, die das mindestens für eine Überraschung halten. Denn erstens musste man Priol vor vier Jahren nicht unbedingt zur ersten Garde der Kabarettisten in Deutschland rechnen, auch wenn er zuvor in Unterfranken zwei Kabarettbühnen aus der Taufe gehoben und schon damals so ziemlich alle Kabarettpreise gewonnen hatte.

Und zweitens gab es das zuvor 27 Jahre lang nicht: Kabarett im ZDF. Dass sich Priol zu seinen politischen Präferenzen wie kaum ein anderer deutscher Kabarettist bekennt, machte die Sache eher noch verblüffender: Priol sagt von sich selbst, seit vielen Jahren ein Grüner zu sein. Im ZDF galt das nicht immer als ein Grund, im Sender Karriere zu machen.

Gerade nach dem eher laschen Nockherberg wird Priols Auftritt auf dem Odeonsplatz nun heftig im Internet debattiert. Da gibt es jene, die nichts mehr fürchten als eine "weichgespülte Kabarettisten-Szene", die den Spießbürgern nur als Feigenblatt diene. Und da gibt es jene, die Priols Brüderle-Bemerkung nicht fassen können und fragen, ob dieser Kabarettist keine Schamgrenze kenne. Priol hat die Passage schon seit Monaten im Programm. Größere Proteste, sagt sein Sprecher, habe es nie gegeben.

© SZ vom 29.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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