Umweltschutz:Alle Vögel sind nicht da

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Die Kohlmeise war im vergangenen Winter der am häufigsten anzutreffende Vogel im Landkreis Fürstenfeldbruck. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Lebensbedingungen für Amsel, Drossel, Fink und Star sind in München "generell miserabel"

Von Günther Knoll

Erstaunlich viele Pfeile zeigen nach unten in der jüngsten Münchner Statistik über die Zahl der Wintervögel. Rückgänge sowohl bei Meisen, wie auch beim Buchfink oder Grünfink. Doch es sind nicht die absoluten Zahlen der bundesweiten Erhebung von Anfang Januar, die Sophia Engel vom Landesbund für Vogelschutz (LBV) in München Sorgen machen. Es ist ihr längerfristiger Vergleich mit anderen deutschen Großstädten. Engel sah sich deren Statistiken aus den vergangenen sieben Jahren an, und da sei München "Rekordhalter im negativen Sinn". Bei insgesamt zehn deutschen Metropolen liege die bayerische Landeshauptstadt immer deutlich hinten, was das Vorkommen der "Allerweltsarten" angehe, sagt die Vogelexpertin. Daraus sei der Schluss zu ziehen, dass die Lebensbedingungen für Vögel in München "generell miserabel" seien.

Die Biologin sieht dafür mehrere Gründe: Einmal weise München im Vergleich zu den anderen Städten einen relativ geringen Anteil an Grünfläche pro Einwohner auf. Hinzu komme der anhaltende Bauboom, dem immer mehr unversiegelte Flächen zum Opfer fielen. Und es liege auch daran, dass in München "alles so schön aufgeräumt ist" - nicht nur in den Privatgärten, wo Rasen und Thujen dominierten, auch in den öffentlichen Grünanlagen und Parks sei dieser Trend zu erkennen. Auch bei Gebäudesanierungen gingen oft wertvolle Brutplätze verloren. Die Vögel würden durch all das ihrer Nahrungs- und Nistmöglichkeiten beraubt. Im Englischen nenne man das den "Tod durch tausend Nadelstiche" sagt Sophia Engel.

Doch die Münchner Vogelschützer schauen dem Verschwinden von Amsel, Drossel, Fink und Star nicht tatenlos zu, versichert die Expertin. Zum einen versuche der LBV, durch den Ankauf und die Pflege von Biotopen in der Stadt artgerechte Flächen zu schaffen. Zum anderen leiste der Vogelschutzbund Überzeugungsarbeit bei den Bezirksausschüssen, um öffentliche Grünflächen entsprechend zu gestalten. Sophia Engel ist bewusst, "dass das ein zähes Ringen ist". Auch beim Schutz von Gebäudebrütern gebe es Erfolge. Wann immer die Sanierung eines Hauses anstehe, in dem zum Beispiel noch Mauersegler brüten, versuche der LBV im Gespräch mit Architekten, Bauherren und der Stadt, diese Brutplätze zu erhalten oder Ersatz zu schaffen. Für Engel geht es generell darum, "ein Bewusstsein für eine vogelfreundliche Umgebung zu schaffen". Es könne eigentlich nicht sein, dass in Berlin im Vergleich doppelt so viele Vögel zu Hause seien wie hier in München.

Bei der jüngsten Zählung, die vom 6. bis zum 8. Januar stattfand, war auch in München ein "deutschlandweites Phänomen" zu bemerken: Viele Vögel, die im Winter sonst hierher ziehen, blieben diesmal aus. Engel vermutet, dass die vergangenen milden Winter und das Nahrungsangebot in ihrer Heimat die Vögel zum Dableiben veranlassten. Das liest Engel beispielsweise aus den Zahlen für die Kohlmeise heraus, die diesmal von Nordosten nach Südwesten, der Zugrichtung also, deutlich abnehmen. Festzustellen war für Engel bei der Zählung in München auch, dass die "Landflucht" offenbar anhält. Ringeltauben, Elstern, Eichelhäher und Feldsperlinge zum Beispiel zieht es im Winter vermehrt in die wärmeren und nahrungsreicheren Städte. Der allgemeine Rückgang ist für Engel zwar deprimierend, "aber ich hoffe, dass das den Leuten die Augen öffnet".

© SZ vom 23.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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