Überfall in München: Schweizer in U-Haft:Schläger ohne Reue

Lesezeit: 3 min

Drei Schweizer Jugendlichen droht nach ihren brutalen Angriffen auf Passanten eine Anklage wegen versuchten Mordes. Zwei mutmaßliche Täter kommen aus besten Schweizer Familien.

G. Zitzelsberger und S. Wimmer

Nach den brutalen Angriffen von Schweizer Jugendlichen auf Passanten in München herrscht auch bei den Eidgenossen blankes Entsetzen: Ein 15- und ein 17-jähriger Schüler wurden mittlerweile wieder aus der Haft entlassen. Sie sollen nicht unmittelbar am Tatgeschehen beteiligt gewesen sein. Die drei 16-Jährigen, die die Mordkommission als Haupttäter einstuft, wurden mittlerweile von den Haftzellen in der Ettstraße in die Justizvollzugsanstalt nach Stadelheim gebracht. Ihnen wird laut Haftbefehl versuchter Mord vorgeworfen.

Vor dem ehemaligen ADAC-Hochhaus schlugen die Jugendlichen den 46-jährigen Geschäftsmann zusammen. (Foto: Foto: dpa)

Mike B., Ivan Z. und Alex D. sollen nach Angaben von Staatsanwalt Laurent Lafleur Dienstagnacht am Sendlinger-Tor-Platz einen regelrechten "Amoklauf" veranstaltet haben. Die Schüler aus dem Züricher Umland, die sich auf Klassenfahrt in München aufhielten, hatten sich nach dem Abendessen mit Alkoholika eingedeckt und standen wohl auch unter dem Einfluss von Marihuana. Im Nußbaumpark, hinter der Straßenbahnwendeschleife, muss der Gewaltexzess begonnen haben.

Dort prügelten die Jugendlichen grundlos auf drei ältere Männer ein. Diese Opfer haben sich allerdings noch nicht bei der Polizei gemeldet. "Wir vermuten, dass sie aus dem Obdachlosen-Milieu kommen", meint der zuständige Mordermittler Manfred Heger. Er sei aber "guter Dinge", dass man die Geschädigten noch finden werde.

Möglicherweise bleibende Schäden

Anschließend zogen die Schläger weiter zum ehemaligen ADAC-Hochhaus. Dort ging dann gegen 23.35 Uhr ein 46-jähriger Geschäftsmann aus Ratingen an der Gruppe vorbei. Ihn schlugen sie nach Polizeiangaben zu Boden und traten mit den Füßen mehrfach auf seinen Kopf und sein Gesicht ein. Der Mann erlitt ein Schleudertrauma, teilweisen Gedächtnisschwund, außerdem brach er sich mehrere Knochen im Gesicht. Nach Angaben von Staatsanwalt Lafleur erlitt der Mann eine beidseitige Kieferhöhlenfraktur, die Jugendlichen brachen ihm die rechte, seitliche Begrenzung der Augenhöhle sowie das Jochbein. Der Schwerverletzte wurde noch in der Nacht operiert. Ob er bleibende Schäden am Auge davontragen wird, ist noch nicht eindeutig zu sagen.

Die drei 16-jährigen Schüler sitzen nun in Stadelheim hinter Gittern. "Ob sie dort bleiben oder getrennt werden, ist noch nicht gesichert", sagt Polizeisprecher Andreas Ruch. In den Vernehmungen, so hatte die Polizei am Donnerstag bereits erklärt, zeigten die Jugendlichen keinerlei Reue. Und auch zum Tatmotiv hätten sie lediglich geäußert, dass sie einen "Kick" gesucht hätten und "nur aus Spaß Leute wegklatschen" wollten. "Jetzt langsam scheint es ihnen zu dämmern, was sie getan haben", meinte ein Ermittler am Freitag. Die Polizei bezeichnete die Tat als "noch alarmierender" als den Fall der Münchner U-Bahn-Schläger vor eineinhalb Jahren.

"Lange Gespräche" hat auch Rechtsanwalt Christian Finke mit seinem Mandanten Alex D. geführt. "In erster Linie darüber, was in nächster Zeit passieren wird." Der Anwalt will sich erst einmal um eine Besuchserlaubnis für die Familie des 16-Jährigen kümmern und die Ermittlungsakten einsehen. Finke geht davon aus, dass der Schüler in Untersuchungshaft bleibt. "Wir werden uns sehr genau anschauen, ob die Mordmerkmale wie Heimtücke und niedrige Beweggründe tatsächlich erfüllt sind", sagt er. Sollten die 16-Jährigen wegen versuchten Mordes verurteilt werden, drohen ihnen Haftstrafen bis zu zehn Jahren.

Für die Schweizer ist mit der Schlägerorgie der drei Küsnachter eine Welt zusammengebrochen: Denn die Schweizer fühlen sich auf ihren Straßen sehr sicher, Gewalt ist ausgesprochen selten. Gerade hat es die Statistik wieder belegt: Zum vierten Mal ist 2008 die Zahl der Straftaten gesunken. Entsprechend fassungslos ist die Reaktion auf die Gewalttat ihrer Landsleute in München. Das Schweizer Fernsehen schickte einen Sonderkorrespondenten, das Boulevardblatt Blick berichtete auf zwei vollen Seiten, und für den Züricher Tages-Anzeiger, die auflagenstärkste Abonnement-Zeitung, war es am Freitag das Spitzenthema.

Entsetzt sind die Eidgenossen zumal, weil sie diesmal nicht Zuzügler verantwortlich machen können: Zwei der drei mutmaßlichen Täter haben keinen Migrationshintergrund, alle drei sind nicht in einem großstädtischen Unterschicht-Ghetto aufgewachsen, sondern in einer der bürgerlichsten Gegenden der Schweiz: An der "Goldküste", dem Sonnenufer des Zürichsees. Im Prominenten-Vorort Küsnacht gingen sie zur "Weiterbildungs- und Berufswahlschule". Dort können Jugendliche, die den Übertritt in die Mittelschule nicht geschafft haben, ein freiwilliges zehntes Jahr machen. Mit dem Klassenausflug nach München schlossen sie ihre Schulzeit ab.

"In der Schule sehr beliebt"

"Wir waren zuerst in einem Park und tranken Wodka-Redbull", erzählte eine Mitschülerin dem Blick. Mike, der mutmaßliche Haupttäter, habe bemerkt, dass er seine Geldbörse verloren habe und sei plötzlich ausgerastet. Wie aber das Geschehen genau abgelaufen ist, weiß auch die Schulleitung, die am Freitag die Klasse befragte, noch nicht. Lediglich einer der drei Burschen, so ließ die Schulleitung wissen, sei "verhaltensauffälliger" gewesen, aber nicht gewalttätig. Bezüglich der anderen beiden Inhaftierten sei die Nachricht von der Gewalttat wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen.

Die drei "waren in der Schule sehr beliebt, wir waren alle komplett überrascht", ließ sich ein Sprecher der Schule zitieren. Tatsächlich aber sind alle drei einschlägig vorbestraft: Einer, so die Jugendstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, ist wegen Diebstahls und Hausfriedensbruch verurteilt worden, der zweite, weil er einem anderen mit einem Faustschlag das Nasenbein gebrochen hatte, und der dritte wegen Raubversuchs und Körperverletzung. Die drei wurden deshalb zu Sozialdienst bis zu vier Wochen verurteilt.

Das Ganze sei ein Albtraum, sagte der Vater eines Beteiligten dem Privatsender "Radio1" in Zürich. Er habe keine Erklärung für das, was in der Nacht auf Mittwoch geschehen sei. "Man hat das Gefühl, man macht alles richtig. Und dann kommt so ein Hammer." Das schwer verletzte Opfer tue ihm unsagbar leid, sagte er weiter. "Ich möchte mich in aller Form entschuldigen und irgendwie helfen, falls das möglich ist."

© SZ vom 04.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: