Tugra:Vermisstes Kind ist ertrunken

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Arbeiter haben die Leiche des Zweijährigen in einem Wehr gefunden. Die Polizei hatte den ganzen Tag den Auer Mühlbach abgesucht.

Susi Wimmer und Monika Maier-Albang

Bis zuletzt hatte Tugras Familie gehofft, dass ihr Sohn doch noch lebt. Dass er entführt worden sei, sich nur in der Au verlaufen habe oder in ein Loch gefallen sei. Am Dienstagabend aber wurde zur schrecklichen Gewissheit, was die Polizei befürchtet hatte: Der seit Samstag vermisste zweieinhalbjährige Junge ist tot, ertrunken im Auer Mühlbach.

Die Hände in der Hosentasche, neben sich das Spielzeug: Mit diesem Foto sucht die Familie nach dem verschwundenen Tugra. (Foto: sonstige)

Noch den ganzen Dienstag über hatten Suchhunde, Reiterstaffel, Hubschrauber, Feuerwehr, Taucher, Streifenpolizisten nach Tugra gesucht, der am Samstag in der Au kurz vor einer Familienfeier spurlos verschwunden war. Weil sie sich das Fernbleiben des Jungen nicht erklären konnten, hatten Familienangehörige vermutet, dass Tugra Opfer eines Verbrechens geworden sein könnte. Doch die Ermittler gingen bereits am Dienstag davon aus, dass der Bub an der Quellenstraße in den reißenden Auer Mühlbach gefallen und ertrunken ist. Sogenannte Mantrailerhunde, die den Geruch eines Menschen aufnehmen und verfolgen können, hatten dort seine Spur verloren.

Gefunden wurde der Leichnam des Jungen schließlich ein ganzes Stück stromabwärts, in der Isar auf Höhe der Muffathalle an einem Wehr - und das eher zufällig: Arbeiter hatten am späten Dienstagnachmittag Wartungsarbeiten am Wasserkraftwerk bei der Muffathalle durchgeführt. Dazu mussten sie Wasser ablassen. Bereits nachdem der Wasserspiegel etwa einen Meter gefallen war, sahen sie den leblosen Körper im Wasser liegen. Die Polizei hatte wegen der noch immer starken Strömung am Dienstag keine Taucher im Bach oder in der Isar eingesetzt, sagt Stefan Sonntag von der Polizei. Die Taucher "würden sich selbst in Lebensgefahr bringen". Zwar war der Auer Mühlbach bereits am Wochenende für eine erste Suchaktion abgesenkt worden, eine komplette Absuche sei jedoch noch nicht möglich gewesen, sagt der Polizeisprecher.

In den Auer Mühlbach dürfte der Junge gefallen sein an einer Stelle, wo eine Fußgängerbrücke am sogenannten Kegelhof zum Freizeitheim des Kreisjugendrings führt. Das braungelbe Wasser zwängt sich dort noch immer schneller als sonst durch den schmalen Kanal. Hier wollte am Samstagabend die kleine Schwester von Tugras Mutter ihren Polterabend feiern.

Nur die engsten Familienangehörigen waren am Samstagnachmittag im Freizeitheim zugange, um die Feierlichkeiten vorzubereiten: das Brautpaar, der Bruder, die Oma - und die Schwester der Braut mit ihrem kleinen Sohn Tugra. "Sie waren mit der Örtlichkeit nicht ganz so zufrieden", sagt ein Freund der Familie. Trotzdem wollte die Familie ab 18 Uhr das Paar hier hochleben lassen, man bereitete in der Küche das Essen vor, und Tugra spielte gegen 15.30 Uhr noch in Sichtweite im Gang. "Es müssen nur ein paar Sekunden gewesen sein, die die Oma den Kleinen aus den Augen gelassen hat", erzählt der Freund. Plötzlich war Tugra weg. Die Oma lief aus dem Haus, die paar Treppenstufen nach unten und schrie nach dem Buben. Nichts. Schließlich rannte die ganze Familie an den angrenzenden Spielplatz, wo ebenfalls ein kleiner Bach durch das Gelände führt, und dann über die Brücke zur Quellenstraße, den Auer Mühlbach entlang. Eine halbe Stunde schrien und suchten sie, dann alarmierten sie die Polizei. Doch Tugra, an diesem Tag ganz festlich mit Smoking und weißem Hemd ausstaffiert, blieb verschwunden.

Zehn Hinweise waren seit Montag bei der Polizei eingegangen, aber die hatten die Ermittler nicht weitergebracht, sagt Polizeisprecher Stefan Sonntag. Die Mantrailerhunde, die den Geruch von Menschen aufgrund der ausgestreuten Hautpartikel aufnehmen können, nahmen im Gang des Freizeitheims die Witterung auf, liefen direkt über die kleine Brücke am Kegelhof und dann den Auer Mühlbach entlang. Dort blieben sie am Geländer stehen, sie verloren die Spur. Das Geländer dort ist eigentlich so hoch, dass ein Zweijähriger nicht darübersteigen kann. War Tugra so schmal, dass er durch die Gitterstäbe schlüpfen konnte? Freunde der Familie hatten dies für unmöglich gehalten.

Seit Samstagnachmittag waren Freunde und Verwandte ständig am Freizeitheim, standen der Familie bei, sprachen Mut zu, hatten in der ganzen Umgebung Fotos von Tugra aufgehängt. Am Abend nun, als der Familie die schreckliche Nachricht überbracht wird, stehen sie der Mutter bei, die im Freizeitheim geblieben ist. Der Vater hatte da die Hoffnung schon aufgegeben.

"Etwa hundert Leute kommen und gehen und helfen", sagt junger Mann aus dem Freundeskreis. Auch er hat sich extra frei genommen. Er kennt die Familie seit Jahren, der kleine Tugra war das erste Enkelkind, der Sonnenschein, "er ist so ein fröhlicher und aufgeschlossener Junge, sehr zutraulich, auch Fremden gegenüber", erzählt er. Das das war ein Grund, warum die Familie annahm, dass der Zweieinhalbjährige entführt worden sein könnte. Die türkische Familie hatte Wahrsager in ihrer Heimat kontaktiert, und alle sagten, so erzählt der Freund, dass der Bub noch am Leben sei und zurückkommen werde.

© SZ vom 09.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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