Tschechisches Zentrum München:"Die Angst war weg"

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Daniel Biskup und Karel Cudlín waren beide während der "Samtenen Revolution" in Prag unterwegs. Nun begegnen sich die Fotografen zum ersten Mal - in einer gemeinsamen Ausstellung

Von Viktoria Großmann

Wenn die Mauer fällt, dann kann man nicht ins Seminar gehen. Daniel Biskup hatte als 26-jähriger Münchner Student keinen Auftrag, als er mit seiner Kamera und einer Ladung Schwarz-Weiß-Filme im Herbst 1989 erst nach Ungarn, später in die DDR und dann in die Tschechoslowakei fuhr. "Ich wollte das einfach erleben", sagt der gebürtige Bonner. Seine Fotos habe im Westen zunächst keiner haben wollen, manche hätten ihn sogar gefragt, warum er in der Wendezeit immer wieder in die ehemaligen Ostblockländer fuhr. Der Erfolg ließ nur wenige Jahre auf sich warten. Biskup bereiste als Fotograf vor allem Osteuropa, arbeitete für Bild, den Spiegel, die Welt. Seine Fotografien hängen heute im Deutschen Historischen Museum oder im Haus der Geschichte. Nur seine Fotografien aus Prag im Herbst und Winter 1989 - die zeigt er erst jetzt öffentlich. Bis zum 16. Oktober sind sie zu sehen im Tschechischen Zentrum an der Prinzregentenstraße.

"Wendejahre in der Tschechoslowakei" lautet der schlichte Titel der Doppelausstellung mit Bildern des Deutschen Daniel Biskup und des Tschechen Karel Cudlín. Die unüberschaubare Menschenmenge am Prager Letná-Park, wo sich bis zu 800 000 Demonstranten versammelten. Blicke in ungläubige, fassungslose, freudetrunkene Gesichter. Eine Frau weint. Ein nachdenklicher Student allein in einer Metro-Station vor einem kleinen Altar aus Kerzen, umgeben von schriftlichen Solidaritätsbekundungen. "Wir sind mit euch", steht an der Wand. Und: "Arbeiter, es geht auch um eure Sache." Es waren die Studenten, die endlich auch in der Tschechoslowakei die Menschen auf die Straße brachten.

Zuversicht spricht aus dem Gesicht der Havel-Unterstützerin, die Karel Cudlín im Dezember 1989 in Prag fotografierte. (Foto: Karel Cudlín)

Jedes Jahr bis heute wird dort am 17. November der gewaltsamen Schließung der Universitäten durch die Nazis 1939 gedacht. Im November 1989 wurde daraus eine Kundgebung für einen politischen Wandel - der gewaltsam niedergeschlagen wurde, es gab Verletzte. Erst dann kam die friedliche, sogenannte samtene Revolution in der Tschechoslowakei in Gang.

"Die Angst war weg", erinnert sich Cudlín an jenen Spätherbst. Vor dem November hatte er noch aufpassen müssen. Die Menschen fühlten sich von ihm beobachtet, er wiederum von der Staatssicherheit. Einmal habe er einen Film vernichtet, damit er nicht der Polizei in die Hände fällt. Cudlín, damals 29, hatte 1989 sein Studium an der renommierten FAMU, der Fakultät für Film- und Fernsehen, in Prag bereits abgeschlossen und fotografierte unter anderem für die Zeitung Mladý Svět - Junge Welt. So wie Biskup in Westdeutschland keine Interessenten für seine Fotos aus Prag fand, so wollte in der ČSSR keiner Fotos von DDR-Bürgern, die über die Mauer der bundesdeutschen Botschaft in Prag klettern. "Ich habe diese Fotos für mich selbst gemacht", sagt Cudlín.

Es ist das, was die Fotografien der beiden wesentlich eint: Es ist nicht nur das Frühwerk zweier Männer, die danach eine große Karriere machten. Es sind Bilder, die heute historisch bedeutsam sind, aber gleichzeitig Aufnahmen, die privat sind und aus tiefer innerer Beteiligung entstanden sind, ohne Auftrag, ohne Vorgabe. Manche erscheinen fast wie Schnappschüsse, im Vorbeigehen, auf dem Nachhauseweg noch mitgenommen. Der gefallene rote Stern, Zeichen des sowjetischen Kommunismus, der zerschmettert auf dem Gehweg liegt. Eine Straßenszene in Prag im Sommer 1990, im Mittelpunkt ein älteres Ehepaar. Kleidung, Blicke, Bewegungen - in allem wird der Umbruch spürbar.

Der alte Herr auf Daniel Biskups Bild will nie wieder die Kommunisten wählen. (Foto: Daniel Biskup)

"Wir müssen fast zur selben Zeit an denselben Orten gewesen sein", sagt Karel Cudlín. Dass sie sich trotzdem erst am Abend der Ausstellungseröffnung in München das erste Mal begegnen, müsse wohl daran liegen, dass beide so höflich sind, sagt Cudlín und lacht. "Wenn wir unsere Fotos gemacht haben, ziehen wir uns zurück und machen den anderen Platz", erklärt Biskup. Cudlín erkennt auf Biskups Bildern sogar Bekannte wieder. Immer wieder im Bild: Václav Havel. Der Dichter und Dissident, der Staatspräsident wurde und damit weit über die Tschechoslowakei hinaus das Gesicht der friedlichen Revolution - nicht nur ein Hoffnungsträger, sondern einer, der einige Wünsche sogar einlösen konnte. Cudlín begleitete Havel später als einer seiner offiziellen Fotografen, Biskup hingegen begleitete Kanzler Helmut Kohl.

Noch etwas haben die beiden Fotografen gemeinsam: Ihr Interesse am Umbruch im Osten endete nicht 1990. Biskup, der schon 1988 das erste Mal in die Sowjetunion gefahren war, verfolgte mit seiner Kamera die Wendejahre in der zerfallenden UdSSR und die Kriegsjahre in Jugoslawien. Auch Cudlín zog es trotz neuer Reisefreiheit nicht sofort in den Westen. Lieber dokumentierte er den Abzug der sowjetischen Truppen. Seine Fotografien wurden später etwa vom Victoria & Albert Museum in London oder dem Museum Ludwig in Köln angekauft. Biskup führt seine Leidenschaft für den Osten auf seine schlesische Herkunft zurück. Cudlín verfolgt mit Interesse etwa das Geschehen in der Ukraine: "Ich habe das Gefühl, dass ich aufgrund meiner Erfahrungen in der Tschechoslowakei und in den Wendejahren besser verstehen kann, was in den ehemals sozialistischen Ländern passiert." Einfühlsamkeit prägt diese Bilder und überträgt sich auf die Betrachter. Auch wenn größtenteils Szenen aus Prag zu sehen sind: Es geht nicht nur um die Tschechoslowakei. Es geht um den Umbruch im Herzen Europas. Der auch ein Umbruch für den Westen war. Und wer es damals nicht spürte - oder nicht dabei war - der spürt es vielleicht jetzt, 30 Jahre später.

Tschechisches Zentrum München, Prinzregentenstraße 7. Montag bis Mittwoch 11 bis 17 Uhr, donnerstags bis 19 Uhr, freitags bis 15 Uhr geöffnet.

© SZ vom 13.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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