Trickbetrug:Der Neffe aus Nigeria

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Illustration: Dennis Schmidt, Scherl (Foto: N/A)

Die Betrüger von heute arbeiten mit modernen Methoden und anonym, eine Lüge ist gleich geblieben: Verwandte, die in Geldnot geraten sind. Die Polizei kann sie kaum fassen

Von Susi Wimmer

Die Vorstellung ist schon skurril: Irgendwo haben sich die Betrüger ein Büro gemietet und ein Callcenter eingerichtet. Da sitzen die sogenannten Keiler dann, vermutlich mit Headset und einer Tasse Kaffee, rufen täglich Hunderte von Senioren an und rauben ihnen allein mit geschickter Gesprächsführung und miesen Psycho-Tricks ihr erspartes Geld. Der gemeine Trickbetrüger, sagt Wolfgang Sendner vom Bayerischen Landeskriminalamt (LKA), agiert nicht mehr so häufig auf der Straße. Vorbei die Zeiten, in denen sich sogar ein ehemaliger Morddezernats-Leiter am Straßenrand einen billigen Besteckkasten andrehen ließ. Die Täter von heute sind mit allen technischen Mitteln gewaschen, erbeuten Millionen, schätzen die Anonymität - und sind kaum zu fassen.

Allein der Enkeltrick-Betrug. Seit Jahren geht er durch die Medien. Die Polizei kooperiert mit Banken, hält Vorträge und Pressekonferenzen, versucht die Senioren über die Angehörigen zu warnen. Allein, es hilft nichts. "Heuer ist der Enkeltrick so massiv wie nie", sagt Sendner. Der Kriminalhauptkommissar sitzt beim LKA im Sachgebiet "Lage und Auswertung Trickdelikte". Er hat quasi einen Überblick über die Betrügereien in Bayern, kann Zusammenhänge erfassen, Kollegen aufmerksam machen und im polizeiinternen Netz Fahndungen einstellen. Sendner sagt, dass der klassische Straßenbetrug mit wenigen Ausnahmen tendenziell abnimmt. "Da ist in der Regel auch nicht so viel Geld zu holen." Dafür tauchen Massenphänomene auf wie betrügerische Mahnschreiben, Callcenter-Betrug - und da im speziellen der Enkeltrick. 90 vollendete Enkeltrickbetrügereien waren es in diesem Jahr in Bayern. Die Zahl klingt niedrig, doch der Schaden ist enorm: 2,5 Millionen Euro. Das heißt, pro Opfer kassieren die Täter im Schnitt 28 000 Euro.

Der Enkeltrick basiert darauf, dass die Keiler in den Callcentern Personen mit althergebrachten Namen aussuchen, und dann bei den älteren Damen und Herren anrufen. "Weiß Du nicht, wer dran ist?", fragen sie scheinheilig. Das Gegenüber ist überrascht, beschämt und sagt den Namen eines Verwandten. Und schon hat der Anrufer dessen Identität angenommen. Per Zufall konnte die Münchner Polizei einmal so ein Gespräch mitschneiden. "Die Betrüger sprechen perfekt deutsch, drücken sich gewählt aus, sind geschickt in der Gesprächsführung, spielen mit der Mitleidsmasche und setzen ihre Opfer unter Druck", fasst es Arno Helfrich, Leiter des Kommissariats Prävention und Opferschutz, zusammen.

Der vermeintliche Enkel oder Neffe behauptet, für einen Immobilienkauf schnell Geld zu benötigen, und schon hängt das Opfer an der Angel, marschiert zur Bank und hebt Geld ab. Beim nächsten Anruf teilt der Neffe dann mit, dass er das Geld nicht selber holen könne und einen Bekannten schicken werde. Minuten später übergeben die Senioren ihr Erspartes dann irgendeinem Wildfremden an der Haustüre.

"Sofort auflegen", das ist der Rat von Arno Helfrich an die Senioren. Oder sich eine Kontrollfrage überlegen, die nur der echte Verwandte beantworten kann. Helfrich weiß, dass Senioren, die das Phänomen Enkeltrick kennen, trotzdem auf den Trick hereinfallen. "Die Täter lesen Zeitung", sagt er, "sie kennen die Ratschläge der Polizei. Und sie geben sich selbst als Polizisten aus, um festzustellen, ob das Opfer misstrauisch geworden ist und die Polizei eingeschaltet hat." Mehr als 700 000 Euro Schaden verzeichnete die Münchner Polizei in diesem Jahr durch Enkeltrickbetrüger. Der ein oder andere Abholer konnte festgenommen werden. "Aber die sagen nichts, sitzen ihre Strafe ab, das war's." Das heißt, die Polizei weiß bis heute rein gar nichts über die Täter. Ob ein großer Boss hinter den Betrügereien in Deutschland, Österreich und der Schweiz steckt oder ob es sich um mehrere Banden handelt. Lediglich, dass die Täter in Polen sitzen, hat man herausgefunden. "Und da arbeiten wir jetzt ganz intensiv mit den polnischen Kollegen zusammen", sagt Helfrich.

Neben den wortgewandten Enkeltrickbetrügern gibt es aber andere Callcenter-Betreiber, die sich auf das Gewinnstreben der Opfer spezialisiert haben. Oder, wie der Volksmund sagt: Gier frisst Hirn. Am Telefon wird dem Opfer vorgegaukelt, es habe bei einem Gewinnspiel gerade 50 000 Euro gewonnen. Herzlichen Glückwunsch! Es müssten vorab nur irgendwelche Versicherungen bezahlt werden, damit der Gewinn ausgeschüttet werden kann. Nur ein paar Tausend Euro, bitte auf ein türkisches Konto zu überweisen. "Es gibt tatsächlich Menschen, die überweisen blindlings", erzählt LKA-Mann Wolfgang Sendner. Wie viele Versuche die Betrüger starten und wie oft sie erfolgreich sind, das mag er gar nicht schätzen. "Die Dunkelziffer dürfte immens sein."

Kopfzerbrechen bereiten dem Polizisten auch die betrügerischen Mahnschreiben, die zu Zehntausenden über die Republik verschickt werden. "Letzte Mahnung", steht da auf dem Brief geschrieben. Nur durch Zahlung von etwa 200 bis 300 Euro könne ein Verfahren abgewendet werden. Ein Überweisungsträger liegt bei, auf dem ist eine türkische oder bulgarische IBAN-Nummer verzeichnet. Mal ist der Absender eine Gewinnspiel-Organisation, mal eine Hotline im Internet oder eine andere Scheinfirma. "Tatsächlich denken viele Leute, sie hätten irgendetwas nicht bezahlt und überweisen dann", erzählt Sendner. Die Betrüger beauftragen sogar Unternehmen, die Schreiben einzutüten und zu verschicken. "Ob die Mitarbeiter wissen, dass sie für einen Betrüger arbeiten, ist unklar. Jedenfalls verdienen sie gut daran", so Sendner. Auch hier sei es schwierig, die Täter zu fassen. "Die wechseln jede Woche ihre Kontonummern und Namen, bis wir einer Bankverbindung auf der Spur sind, ist das Konto längst abgeräumt und gelöscht."

Natürlich, sagt Sendner, sei der klassische Trickbetrug auf der Straße nicht gänzlich ausgestorben. Betrüger, die einem minderwertige Teppiche andrehen oder einem die echte Goldkette gegen eine billige flugs austauschen, seien seltener anzutreffen. Wechseltrickbetrug (siehe unten) und diebische Spendensammler gebe es allerdings immer noch en masse. Und auch die gute alte Nigeria-Connection erfreut sich steter Beliebtheit: Ein Offizier bittet per Mail um Hilfe. Er müsse zehn Millionen Dollar außer Landes bringen. Der Helfer werde reichlich belohnt, müsse ihm aber zuvor bei der Hinterlegung einer Sicherheitsleistung unter die Arme greifen. Eine abgefahrene Geschichte. "Aber", sagt Sendner, "sie funktioniert nach wie vor".

© SZ vom 30.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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