Travestie-Künstler:Glitzer, Glamour, glatte Haut

Lesezeit: 3 min

"I Am What I Am" heißt die Jubiläumsshow von Chris Kolonko. (Foto: iSpöttel Picture/imago)

Seit 30 Jahren spielt Travestie-Künstler Chris Kolonko in Varietés, in Revue-Theatern oder auf Kreuzfahrtschiffen. Doch nicht immer bekommt er die Anerkennung, die er sich wünscht.

Von Christiane Lutz, München

Fummeltante. Transe. Mädchen. "So was." Chris Kolonko hat sich im Laufe seines Lebens allerlei nennen lassen müssen, weil er in Frauenkleidern auftritt. Er selbst nennt sich Schauspieler, Sänger, Verwandlungskünstler. Wirklich gekratzt, sagt er, hätten ihn Beleidigungen nicht. Er wusste ja, was er kann. Er wusste aber auch, dass er sich immer ein bisschen mehr anstrengen muss als die anderen Sänger und Schauspieler, um das zu beweisen.

Wenn man Chris Kolonko gegenübersitzt, wirkt er entspannt auf eine Art, wie sie Menschen entwickeln, die es gewohnt sind, irgendwie "anders" zu sein. Seinen Fingernägeln sieht man an, dass sie oft lackiert und genau so oft mit Nagellackentferner geputzt wurden. Die Haare sind blond und kurz, das Gesicht ist straff, etwas zu straff für einen 50-Jährigen. Kolonko zuckt die Schultern. "Will ich im Alter aussehen wie Inge Meysel oder wie Cher? Ich hab mich für Cher entschieden."

"Will ich im Alter aussehen wie Inge Meysel oder wie Cher? Ich hab mich für Cher entschieden", sagt Chris Kolonko. (Foto: Stephan Rumpf)

Chris Kolonko ist Travestie-Künstler. Er spielt seit 30 Jahren in Varietés, in Revue-Theatern, auf Kreuzfahrtschiffen. Er entwirft eigene Kostüme, entwickelt eigene Programme, singt alles, was zu einer glamourösen Shows passt, Marlene Dietrich, Udo Jürgens, amerikanische Weihnachtslieder. Seit 2018 betreibt er ein eigenes Spiegelzelt in Augsburg und hat dort für drei Monate eine Dinner-Show realisiert: Essen, Artistik, Musik, "und bisschen topless", sagt er, also oben ohne. "Aber immer elegant. Nie ordinär. Da müssen ja auch Kinder kommen können."

Christian Kolonko, 1969 in Augsburg geboren, zieht es schon als Kind dahin, wo es glitzert, wo Musik gespielt wird und die Menschen nicht so angezogen sind, wie alle anderen. Er interessiert sich für Eiskunstlaufen, für Musicals, es war die Zeit in den Achtzigerjahren, in der alle über "Das Phantom der Oper" und "Cats" ausflippten. Statt zum Fußball geht er als 12-Jähriger zum Aerobic, packt aber brav seine Fußballschuhe ein, damit die Eltern nichts bemerken. Er unterrichtet die Kurse sogar manchmal, die Frauen sind entzückt. Und Kolonko bemerkt, dass er etwas sehr gut kann: Menschen mitreißen.

Nach dem Hauptschulabschluss macht er eine Ausbildung zum Friseur und fängt er an, nebenbei im "Showdance Studio" Ballett- und Gesangsunterricht zu nehmen. Damals tritt er immer wieder in Augsburger Läden auf, zu denen er als Minderjähriger noch gar keinen Zutritt gehabt hätte. Mit seinen Eltern reist er in der Zeit nach Las Vegas. Da sieht es überall so aus, wie in seinem Kopf: "Der schöne Schein, das wollte ich sein. Dieser Glimmer! Diese Illusion! Jedes Revue-Mädchen war für mich eine Göttin. So, genau so will ich leben, dachte ich."

Mit 18 zieht Kolonko nach München. Das ist zwar nicht Las Vegas, aber damals immerhin ziemlich hip. Man geht ins "New York", ins "Together", "Old Mrs. Henderson" und in das Revue-Theater "Bel Etage" in der Feilitzschstraße über dem Drugstore. Als er das Angebot bekommt, mit einer Travestiegruppe für acht Monate durch Mallorca zu touren, kündigt er seinen Job im Friseursalon.

"Ich wusste lange überhaupt nicht, dass das eine Sensation ist."

Die Tatsache, dass bei Travestie-Shows ein Mann in Frauenkleidern auf der Bühne steht, ist für Kolonko immer unwichtig: "Ich wusste lange überhaupt nicht, dass das eine Sensation ist." Er will, dass die Leute Geld dafür ausgeben, seine Kunst zu sehen. Er will unterhalten. Mal als Peter Pan, mal als Rum Tum Tugger aus "Cats" und manchmal eben als Frau. Bis heute muss er immer wieder erklären, dass er, obwohl er schwul lebt, kein Transvestit ist, muss erklären, was der Unterschied zwischen Travestie und Transgender ist und nein, zu Hause läuft er nicht als Mädchen herum. Das Bewusstsein für die Komplexität des Themas Geschlechteridentität ist zwar gestiegen, damit aber auch die Verwirrung. Kolonko erklärt dann geduldig, er hat sich ein ganzes Arsenal an schlagfertigen Antworten zurechtgelegt.

Auch das mit der künstlerischen Akzeptanz seines Berufs ist schwierig. Jahrelang muss sich Chris Kolonko höflich bei Kreuzfahrtveranstaltern vorstellen, bis er irgendwann mit seinem Travestie-Programm mitfahren darf. Den Namen "Chris Crazy" tauscht er damals gegen das neutralere "Chris Kolonko." Heute reist er bei fünf bis sechs Kreuzfahrten pro Jahr mit, die ganze Welt habe er so gesehen. "Ach, du machst Travestie", sagen auch heute noch manche zu ihm, als sei Travestie eine Art minderwertiges Musical. "Aber ich steck die in die Tasche mit Bühnenpräsenz. Wenn ich komm, sind die Augen bei mir. Bang!"

Wer Auftritte von ihm kennt, weiß, dass das stimmt. Kolonko rekelt sich so genüsslich im Scheinwerferlicht wie eine Katze auf einer Sonnenterrasse. Unmöglich, da nicht hinzuschauen. Dann, wenn sich die Zuschauer gewöhnt hätten, sagt Kolonko, an die schwere Schminke und die langen Beine, gebe er ihnen Botschaften mit: Steht ein für eure Träume. Bleibt offen für das, was das Leben bereit hält. Solche Dinge.

Kolonko kann gut von seinem Beruf leben, sagt er, aber reich sei er nicht. Die Tour durch Mallorca damals endete übrigens enttäuschend: "Das funktionierte nach dem Prinzip: alter, geschminkter Mann mit Federn auf dem Rücken. Da haben die Leute drüber gelacht." Trotzdem: Diese Tour markierte für Kolonko auch den Start in seinen eigentlichen Beruf. Das ist jetzt 30 Jahre her.

© SZ vom 28.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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