Trauerbegleiter:Wenn der Schmerz für immer bleibt

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Vor sechs Jahren ist die Tochter von Bettina Steinert gestorben - es gibt für Eltern nichts Schmerzhafteres. Heute begleitet die 38-Jährige verwaiste Eltern beim Leben nach dem Tod. Den Schmerz nehmen kann sie natürlich nicht, aber helfen.

Anna Fischhaber

"Ich konnte mir nach dem Tod von Paula nicht vorstellen, dass ich jemals wieder lache", sagt Bettina Steinert. (Foto: Johannes Simon)

Wenn das Telefon von Bettina Steinert klingelt, sind irgendwo in München Eltern verwaist. Oft ist der Tod ihres Kindes dann erst wenige Stunden her. Und ob Suizid, Unfall, Gewaltverbrechen oder plötzlicher Kindstod: Meistens ist der Tod ganz plötzlich eingetreten. Ist ein Schock für die Angehörigen. Manchmal war das Baby noch gar nicht auf der Welt, um das die Mutter trauert. Manchmal ist der Tote schon älter als 40 und für seinen Vater doch noch ein Kind.

Doch wie hilft man Eltern, wenn die kleine Tochter aus dem Mittagsschlaf nicht mehr erwacht? Wenn in Sekunden plötzlich nichts mehr ist, wie es einmal war? Steinert kann dann: zuhören, da sein, den Schmerz aushalten. Den des anderen und die eigene Ohnmacht.

"Primi Passi - Erste Schritte" heißt das Projekt, bei dem die 38-Jährige seit knapp vier Jahren Hinterbliebene betreut. An sich ist die Frau mit den kurzen dunklen Haaren Architektin. Das Treffen mit ihr findet im Westend statt. Ganz ruhig erzählt sie von ihrer schwierigen Arbeit als Trauerbegleiterin, während ihre Tochter auf ihrem Schoß schreit. Sie ist jetzt drei Monate alt - genauso alt wie ihre große Schwester, als sie starb.

Paula wurde mit einem Herzfehler geboren, nach einer Operation sah zunächst alles gut aus, erzählt Bettina Steinert. Dann bekam Paula nachts Herzrhythmusstörungen und plötzlich ging alles ganz schnell. Die Mutter konnte zusehen, wie ihr Atem auf dem Wickeltisch schwächer wurde. Fast eine Stunde lang versuchten die Ärzte sie wiederzubeleben. Dann erklärten sie das Mädchen für tot.

Sechs Jahre ist das her. Bettina Steinert hat seitdem viel über den Tod ihrer Tochter geredet, eine Trauerbegleiterin hat auch ihr in der ersten Zeit geholfen. "Es hat gutgetan zu wissen, dass jemand für einen da ist", sagt sie. Deshalb hat sie selbst die einjährige Ausbildung beim Verein Verwaiste Eltern, zu dem auch das Projekt Primi Passi gehört, absolviert. Zwölf Frauen arbeiten dort als Akutbegleiterinnen, alle ehrenamtlich.

Die meisten wissen, wie es sich anfühlt, wenn das eigene Kind stirbt. Sie sind wie Bettina Steinert selbst Betroffene. Bei Primi Passi geht es um Hilfe zur Selbsthilfe. Darum, dass die Eltern nach dem Verlust wieder handlungsfähig werden. "Natürlich können wir ihnen ihr Leid nicht nehmen, aber wir können einen Stück des Weges mitgehen", sagt Steinert.

Mit den anderen Trauerbegleiterinnen überwacht sie abwechselnd das Notrufhandy, das sieben Tage die Woche, von acht bis 20 Uhr besetzt ist. Noch bis 2013 wird das Projekt vom Sozialministerium gefördert, wie es dann weitergeht, weiß derzeit niemand. Dabei wächst das Projekt, das es seit 2003 gibt, gerade. Bislang war es auf den Großraum München beschränkt, von November an soll es auch im Oberland eine Akutbegleitung geben. Die Hinterbliebenen bekommen die Nummer von Kliniken, von der Polizei, vom Kriseninterventionsteam. Oder sie finden sie im Internet.

Vielen Eltern sei schon geholfen, wenn man am Telefon zuhört, erzählt Bettina Steinert. Andere besucht sie zu Hause. Dann lässt sie sich vom Kind erzählen, schaut Fotos an. Und manchmal schweigt sie auch nur mit den Familien. "Trauer hat so viele Gesichter und alles ist richtig", sagt sie. Etwa sechs Wochen lang steht sie mit den Hinterbliebenen im Kontakt. "Natürlich ist der Schmerz dann nicht weg, aber in dieser Zeit haben sich die Eltern ein Netz aufgebaut."

Die Trauerbegleiterin hat die Erfahrung gemacht: Die ersten Schritte nach dem Verlust sind die schwersten, aber auch die wichtigsten für ein Leben nach dem Tod des Kindes. Denn dann gilt es eine ganze Reihe von Entscheidungen zu treffen, bei denen Familien auf sich allein gestellt sind. Unwiederbringliche Entscheidungen.

Bettina Steinert ermutigt die Angehörigen dann, das Kind noch einmal anzuschauen oder vielleicht sogar nach Hause zu holen. Sie begleitet sie zum Bestatter und hilft aus der Beerdigung etwas Besonderes zu machen. "Es geht immer darum, dass die Trauer einen Ausdruck bekommt, dass man sie nicht in sich hineinfrisst", sagt sie.

Manchmal, wenn wieder ein kleines Mädchen gestorben ist, muss Bettina Steinert an ihre eigene Tochter denken. Aber sie hat gelernt, die fremde und die eigene Trauer zu trennen. Alle vier Wochen geht sie in Supervision. Ihre eigene Geschichte erzählt sie den Eltern nur, wenn sie danach gefragt wird. Und das wird sie nicht häufig. Wenn doch, wollen viele wissen, wie das Umfeld bei ihr reagiert hat. Wie man noch aufstehen kann, wenn man nicht mehr weiß warum.

"Ich konnte mir nach dem Tod von Paula nicht vorstellen, dass ich jemals wieder lache", sagt die 38-Jährige. Inzwischen habe sie gelernt, mit dem Verlust zu leben. Auch wenn der Schmerz für immer bleibt.

Die Trauerbegleitung für betroffene Eltern ist täglich von acht bis 20 Uhr unter der Telefonnummer 0173/3779796 zu erreichen.

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